Man stelle sich zwei nahezu identische Spiele vor, die sich in Sachen Grafik, Gameplay und Geschichte kaum unterscheiden und nur in einem Punkt auseinandergehen – der Zeit, die man benötigt, um den Abspann zu erreichen. Welches der beiden Spiele ist besser zu bewerten? In meiner Kindheit und Jugend wäre die Antwort glasklar gewesen: Selbstverständlich ist das längere Spiel deutlich besser, weil man ja Stunden länger zocken kann und sich die Investition somit offensichtlich mehr lohnt! Zuweilen halte ich auch heute noch an der simplen „Einen Euro pro Spielstunde“-Rechnung fest, um Spiele miteinander zu vergleichen. Doch die Berechnung hat einen entscheidenden Fehler, denn in ihr kommt der wohl wichtigste Faktor eines Spiels nicht vor: Der Spielspaß.
Erst kürzlich spielte ich das schon vor einigen Jahren erschienene Superliminal, welches einen mit optischen Illusionen und darauf aufbauenden Rätseln für zwei Abende super unterhält. Und genau hier liegt auch gleich der Knackpunkt – das Spiel ist nicht sonderlich lang und lässt sich entspannt an einem Wochenende beenden. Und dennoch bin ich rundum zufrieden mit Superliminal. Seltsam, oder?
Im Folgenden möchte ich der Frage nachgehen, ob die Länge eines Videospiels einen positiven oder negativen Effekt auf die endgültige Wertung und den Spaß hat und wie genau dieser zustande kommt. Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass sich die Sache nicht so einfach gestaltet, wie man vorerst annehmen möchte.
Superliminal dient an dieser Stelle als Einleitung und gleichzeitig als Auslöser für das Ausformulieren dieser Gedanken. Für die Geschichte, die das Spiel erzählen möchte und das Gameplay, das während der Handlung der Unterhaltung dient, hat Superliminal die perfekte Länge. Als Spieler wird man mit einer guten Anzahl an Rätseln konfrontiert, die durch den Einsatz optischer Illusionen gelöst werden müssen. Dabei schafft das Spiel einen guten Spagat zwischen Erklärung und Herausforderung, ohne durch eine zu große Masse an Inhalten überwältigend zu wirken. Und so sorgen die abwechslungsreichen Inhalte für kurzweilige Unterhaltung, die nach einigen Stunden vorbei ist, sich aber dennoch vollständig anfühlt. Superliminal nimmt sich genau die Zeit, die es braucht – nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Und so ist Superliminal trotz der sich nach wenig Spielzeit anhörenden drei Stunden rundum zufriedenstellend.
Dass es allerdings auch anders geht, verdeutlichte im vergangenen Jahr das Adventure Like No Other. Es ist nicht viel schneller zu Ende als Superliminal – und fühlt sich dennoch deutlich zu kurz an, was den Spielspaß ziemlich trübt. Wenn der Abspann beginnt, hat man das Gefühl, man habe gerade erst das Tutorial beendet. Einen befriedigender Spielfluss wird so nicht erzeugt. Dies liegt auch daran, dass das Point-and-Click-Genre sich langsamer spielt als ein Knobelpuzzler aus der Egoperspektive, was sich auch auf die Wahrnehmung der Spielzeit auswirkt. Die gefühlte Dauer von Like No Other ist damit deutlich zu kurz. Das Spiel schafft es einfach nicht, eine Einleitung mit beginnender Lernkurve, einen Mittelteil mit verschiedenen Aufgaben und ein zufriedenstellendes Ende auszugestalten – was eben dazu führt, dass gefühlsmäßig nach dem Intro schon Schluss ist. Im Gegensatz zu Superliminal endet Like No Other nicht an dem Punkt, an dem es enden sollte. Keine Mechanik kann sich wirklich entfalten und eine runde Geschichte wird ebenfalls nicht vermittelt. In unserem Test erfährst du mehr zu Like No Other und warum es sein Potential aufgrund der Spieldauer nicht entfalten kann.
Wie lang ein Spiel mindestens sein muss, um für den Großteil der Spieler befriedigend zu wirken, lässt sich also nicht pauschal beantworten. Vielmehr fließen verschiedene Faktoren, wie Genre, Spielstil und die Komplexität des Gameplays, in die Definition der optimalen Länge ein. Grundsätzlich lässt sich sagen: Mit zunehmender Inhaltsvielfalt muss auch die Spielzeit zunehmen, damit jedes Element für sich gesehen auch wirklich zur Geltung kommen kann. Simple Titel sind schon unterhaltsam, wenn man sie einige Minuten spielt – man denke an dieser Stelle an Mobile oder Casual Games. Tetris, Moorhuhn oder Temple Run machen bereits Spaß, wenn man eine kurze Runde absolviert hat. Auch deshalb, weil der Anspruch der Spiele nicht auf der Vermittlung einer umfangreichen Handlung liegt. Vielmehr steht einfaches, unterhaltsames Gameplay im Mittelpunkt, das schon von der ersten Sekunde an verständlich ist und keiner großen Einleitung bedarf. Im Umkehrschluss heißt das nun, dass komplexe Spiele zwangsläufig auch eine längere Spieldauer haben sollten – und genau an dieser Stelle tappen viele Entwickler in eine ganz andere Falle.
Spiele können zu kurz sein, aber dass sie auch zu lang sein können, hatte ich in meiner Kindheit kaum für möglich gehalten. Doch inzwischen ist Freizeit ein rares Gut und will gut eingesetzt sein. Dementsprechend verwundert es nicht, dass mir bei einigen Spielen der Atem stockt, wenn es bei Ankündigungen heißt, es sei „X mal größer als der Vorgänger“ oder biete „Y % mehr Dialogzeilen“. Sicherlich, mehr Komplexität ist eine Form der Weiterentwicklung, die oftmals in einem Nachfolger benutzt wird, um Fans Lobpreisungen zu entlocken. Bei genauerer Betrachtung trügt der Schein aber häufig, denn länger ist nicht gleichzusetzen mit unterhaltsamer. In den letzten Jahren ist es mir immer häufiger passiert, dass ein eigentlich geniales Spiel deutlich zu lange ging und ich deswegen das vielleicht grandiose Finale nie gesehen habe. Das fantastische Divinity: Original Sin 2 habe ich beispielsweise noch immer nicht beendet und aktuell knabbere ich seit mehreren Monaten an Assassin’s Creed: Valhalla und Fallout 4. Alle drei Spiele sind durchaus sehr spaßig, aber die unglaubliche Masse an Inhalten lässt einen hin und wieder doch die Hoffnung verlieren, das Ende des Spiels überhaupt zu erreichen. Und genau unter diesem negativen Eindruck kann dann auch der Spaß am Spielen leiden.
Bleiben wir kurz im verstrahlten Ödland von Fallout, denn im Vergleich von Teil 4 und Fallout 76 lässt sich eine interessante Entdeckung machen: Obwohl beide Spiele im Kern ähnliches Gameplay bieten und ich in 76 beileibe auch nicht alle Inhalte gesehen habe, so bin ich mit meinen Errungenschaften im Online-Ableger deutlich zufriedener als mit meiner Abschlussquote von Fallout 4. Der Grund ist ganz einfach: In Fallout 76 ist das Gameplay Sandbox-artiger und es steht mir völlig frei, was ich als nächstes tue und wo meine Prioritäten liegen. Zwar gibt es auch eine Haupthandlung und diverse große Handlungsstränge, doch diese stehen beileibe nicht so im Fokus, wie es die Geschichte von Fallout 4 tut. Die Folge ist, dass man sich seine Ziele selbst steckt und mit den Etappensiegen dann deutlich zufriedener ist, als wenn man in Fallout 4 ewig an einer Aufgabe – dem Beenden des Spiels – knabbert. Hier bestätigt sich meine These, dass die optimale Spielzeit auch davon abhängt, was ein Spiel umsetzen möchte und wie es den Spieler motiviert, animiert und belohnt. Ich habe Fallout 76 monatelang gespielt und würde rückblickend sagen, dass es für mich persönlich im Vergleich mit Fallout 4 das bessere Spiel ist. Mehr erfährst du im Beitrag Wie Fallout 76 mich monatelang fesselte, in welchem ich die Besonderheiten von 76 erläutere.
Dass ich Fallout 76 schlussendlich sogar länger gespielt habe und dennoch nicht von einer zu langen Spielzeit im Voraus verängstigt wurde, hat durchaus auch einen Grund. Fallout 76 ordnet sich nämlich in die Reihe der vielen Games-as-a-Service-Titel ein und liefert ähnlich wie MMOs, Fortnite oder andere Online-Spiele mit der Zeit immer neue Inhalte nach. Es ist die Art von Spiel, die man quasi ewig spielen kann und die kaum ein vorgegebenes Ende bietet. Das Fehlen eines klaren Abschlusses sorgt dann in meinem Fall dafür, dass ich keine Bedenken habe, diesen nicht zu erreichen. Bei den meisten Einzelspieler-Titeln ist das anders. Hier kann ein zu lange auf sich wartendes und hinausgezögertes Finale den Spielspaß negativ beeinflussen und mitunter dafür sorgen, dass ich inzwischen schon vor dem Spielen mit den Worten „Ach nein, das ist mir zu umfangreich!“ gar nicht erst loslege. Ich ertappe mich seit einigen Jahren dementsprechend auch oft dabei, vor dem Spielstart erst einmal auf HowLongToBeat.com nachzuschauen, wie lange ich mit einem potentiellen Spiel eigentlich zu kämpfen haben werde. Inzwischen habe ich kurze Spiele lieben gelernt und scheue mich eher vor zu langen, rauben sie mir doch einen erheblichen Teil meiner Zeit mit zu unwichtigen und belanglosen Nebenbeschäftigungen, anstatt sich auf das wirklich Wichtige zu fokussieren.
Wie wirkt sich Spielzeit auf das Spielerlebnis aus?
Ja, es kommt durchaus auf die Länge an. Aber länger ist nicht gleich besser! Denn die Zeit, die man mit einem Spiel verbringt, ist nur einer von vielen Faktoren für den Spaß. Zudem wird das Optimum bedingt durch andere Einflüsse, die deutlich wichtiger sind. Kleine Indie-Games mit wenigen Spielstunden können demnach ebenso gut unterhalten wie AAA-Titel mit langen Kampagnen. Entscheidend ist, dass ein Spiel weiß, wann es seinen Zenit erreicht hat und an seinem Höhepunkt einen Schlussstrich zieht.
Niemand möchte bei einem potentiellen Indie-Hit den Abspann zu früh sehen oder in einem großen Open-World-Adventure so viel zu tun haben, dass man das Ende kaum erreicht und das Spielen in grindlastiger Arbeit endet. Als Kind war ich der Meinung, dass ein langes Spiel pauschal besser ist. Inzwischen haben sich meine Präferenzen wohl geändert und ich freue mich, wenn ich erfahre, dass ich einen heiß erwarteten Titel auch wirklich beenden werde, weil ein befriedigendes Finale in überschaubarer Zeit erreichbar ist.
Die Spielzeit kann das Erlebnis im positiven und negativen Sinne beeinflussen. Einen guten Mittelweg zu finden und die Dauer eines Videospiels an dessen Intentionen anzupassen, ist eine Kunst, die eine entscheidende Rolle in dessen Rezeption und Nachwirkungen spielt.
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