Mit Red Dead Redemption 2 ist Rockstar Games nach Grand Theft Auto V ein weiterer Hit gelungen, der sowohl die Listen der aktuell besten Spiele anführt als auch in Sachen Verkaufszahlen auf einem sehr beachtlichen Niveau unterwegs ist. Auch bei uns erschienen bereits diverse Artikel zum Wild-West-Abenteuer. Mittlerweile habe auch ich nach weit mehr als 50 Stunden die Hauptgeschichte des Spiels beendet und trotz vieler Lobpreisungen stört mich eine Sache gewaltig, die sich auch in anderen Titeln des Publishers bemerkbar macht. Denn während sich sowohl Red Dead Redemption als auch Grand Theft Auto stetig weiterentwickeln, scheint ein wichtiger Aspekt stehen geblieben zu sein.
Eins vorweg: Obgleich sich folgender Artikel sehr kritisch mit einem bestimmten Element von Red Dead Redemption 2 auseinandersetzt, ist das Spiel grundsätzlich in vielerlei Hinsicht ein Meilenstein in der Geschichte der Videospiele. Wenn du mit den Spielen von Rockstar Games deinen Spaß hattest und sogar dem Wilden Westen etwas abgewinnen kannst, bist du bei RDR 2 garantiert goldrichtig. Ähnliches fällt auch das Fazit im Review von RememberReach aus, auch wenn mir persönlich dort zu unkritisch ein finales Statement abgegeben wurde.
Nicht ganz so gelungene Aspekte dürfen und müssen nämlich auch in Spielen angesprochen werden, die augenscheinlich zu den besten der aktuellen Zeit gehören. Denn selbst ein Red Dead Redemption 2 ist noch weit vom perfekten Videospiel entfernt.
Die Spielwelt von Red Read Redemption 2 ist fantastisch. Noch nie konnte man den Wilden Westen – beziehungsweise das Ende dessen Wildheit – so eindrucksvoll erkunden, wie es hier der Fall ist. Rockstar Games stößt sich damit selbst vom Thron, denn zuvor legte der inzwischen zehn Jahre alte Vorgänger die Messlatte für eine glaubwürdige Welt in diesem Szenario hoch an. Als Freund von Open-World-Spielen konnte ich mich selten in einer virtuellen Umgebung verlieren, wie es hier in Red Dead Redemption 2 der Fall war. Gründe dafür gibt es viele. So ziemlich jedes objektiv bewertbare Element wird grandios umgesetzt und zu einem tollen Gesamtbild zusammengefügt. Dieses ist nicht nur unglaublich stimmungsvoll sondern zugleich auch lebendiger als in jedem mir bekannten Spiel in Szene gesetzt.
Sobald man die ellenlange und unserer Meinung nach sehr diskutable Einleitung des Spiels, auf welche ich später noch zu sprechen komme, hinter sich gebracht hat, tut sich eine Welt auf, die in Sachen Detailgrad und überzeugender Gestaltung meilenweit vor der Konkurrenz entfernt ist. Besonders die Pflanzenvielfalt in den weitläufigen Ebenen, dichten Wäldern und imposanten Bergregionen wirkt unglaublich realistisch und sorgt dafür, dass das langsame Traben auf den sich durch die Landschaft windenden Pfaden ein wahrer Augenschmaus ist. Auch in den verschiedenen Regionen heimische Tiere wurden wundervoll animiert und obwohl meiner Meinung nach deutlich zu viele spawnen, tragen sie doch zur Lebendigkeit und Interaktivität der Welt bei. Denn ein sich zum Himmel erhebender Vogelschwarm, die durch das flotte Vorbeireiten am nahegelegenen See aufgescheucht wurden, ist nicht einfach nur hübsche Dekoration – jedes der Tiere kann von treffsicheren Schützen erwischt werden und säuselt dann glaubwürdig zu Boden.
Die besiedelten Orte der Karte stehen dem hohen Realismusgrad der Natur in nichts nach. Egal, ob man sich gerade auf einem kleinen Gehöft mitten in der weiten Steppe befindet, die vom Nebel umströmten Anglerdörfer im Sumpf besucht oder durch die beachtlich großen Städte am Wasser schlendert – überall sind die Charaktere passend gekleidet und verhalten sich je nach Beruf, Stand und Ort völlig unterschiedlich. Nicht nur, dass eine Dame des Adels sich gänzlich anders zu bewegen weiß als ein einfacher Kuhbauer im Stall, die NPCs sind im Gegensatz zu vielen anderen Spielen alles andere als ziellos umherlaufende Statisten. Überall entdeckt man kleine Details, die womöglich vielen Spielern beim schnellen Durchspielen gar nicht aufgefallen wären. Ein frisch gegründetes Holzfällerlager entwickelt sich so zum Beispiel im Laufe des Spiels immer weiter und wenn man hin und wieder vorbei reitet, erlebt man den ersten noch ziemlich ungeschickt gefällten Baum, sieht, wie nach und nach Zelte, Umzäunungen für Tiere und ganze Hütten entstehen und findet am Ende eine nahezu gänzlich gerodete Waldfläche mit einem längst wieder verlassenen Lager vor. Derart voll mit Leben hat sich für mich bisher noch keine Spielwelt angefühlt.
Und dennoch gibt es einen speziellen Punkt im Design von Red Dead Redemption 2, der insbesondere durch seinen immensen Qualitätsunterschied im Vergleich zu eben dieser Spielwelt auffällt und das Erlebnis stark trübt. Denn beim Design der Hauptmissionen scheint das Spiel plötzlich in der Zeit stehen geblieben zu sein und unterscheidet sich kaum von denen der ersten 3D-Teilen der GTA-Reihe. Rockstar Games hat hier zwar, ähnlich wie außerhalb der Missionen, die Animationen und den realitätsnahen Stil der Figuren nahezu perfekt abgebildet, dabei aber vergessen, dass sich Spiele auch abseits der Optik längst weiterentwickelt haben. Die Freiheiten, die die Open World mittlerweile bietet, verfliegt urplötzlich mit dem Start der Mission und auf einen Schlag wird der Spieler wieder auf Schienen geführt, welche das Abweichen vom fest vorgegebenen Pfad kaum ermöglicht.
Angefangen beim strikten Einhalten der Laufwege, die vom Spiel zum Teil penibel vorgegeben werden bis hin zur generellen Gestaltung der Missionen – nichts deutet hier auf eine der beeindruckensten Welten der Videospielgeschichte hin. Stattdessen folgt man linear NPCs, hört sich nebenbei Dialoge an und wird öfter als es einem lieb ist in Schießereien verwickelt. Letztere Arten derart häufig in Ballerbuden mit dutzenden Gegnern aus, die oftmals völlig logikbefreit aus dem Nichts auftauchen, dass sich Red Dead Redemption 2 hin und wieder eher wie Moorhuhn anfühlt anstatt auch hier Maßstäbe zu setzen. Rockstar Games vergeben hier die Chance, auch das Spielgefühl auf eine nie dagewesene Ebene zu heben. Man dreht sich in Sachen Gameplay noch immer im Kreis und geht keine Risiken ein, was dazu führt, dass man die Missionen kaum anders als in Grand Theft Auto 3 spielt, darüber aber die Hülle eines der ansehnlichsten Videospiele aller Zeiten gestülpt hat und die Diskrepanz dadurch umso sichtbarer erscheinen lässt.
Besonders schade ist das, weil es in der offenen Welt im Gegensatz dazu unzählige Wege gibt, bestimmte selbst gestellte Herausforderungen anzugehen und zu lösen. Denn hier bestimmt man beispielsweise völlig eigenständig, wie man das Jagen eines seltenen Tieres angehen möchte. Auf die Lauer legen, durch den Wald streifen oder nach Spuren Ausschau halten – jedem ist hier selbst überlassen, wie das Ziel erreicht wird. Der Weg ist nicht vorherbestimmt. Ganz anders sieht das in den Missionen aus, welche zuweilen sogar die vor der einleitenden Zwischensequenz gewählten Waffen mit denen austauscht, die die Mission vorsieht. Mein liebgewonnenes Scharfschützengewehr konnte ich so nur ganz selten zu relevanten Auseinandersetzungen mitnehmen.
Lebendige Figuren in der Welt, die auf verschmutzte Kleidung der Spielfigur reagieren oder das seltene Ross beim Vorbeiritt loben und damit aktiv auf den Spieler eingehen stehen den Charakteren in Missionen gegenüber, die zwar allesamt toll erzählt sind und fantastisch eingesprochen wurden, darüber hinaus aber kaum Interaktivität zulassen. Im Camp verhält sich die Gruppe rund um die Van-der-Linde-Gang dynamisch und zeigt an vielen Stellen intelligentes Verhalten – etwa wenn Hauptfigur Arthur den hungrigen Mitstreitern ein besonders stattliches Reh zum Abendessen bringt und von überall Lob fürs Erlegen der Beute entgegenschallt – wird beim Start eines Auftrages aber im Handumdrehen zu eindimensionalen Robotern ohne Seele, die uns dafür zu bestrafen scheinen, wenn wir eigene Ideen umsetzen und nicht am strikt vom Spiel vorgegebenen Plan festhalten wollen. Kreative Lösungsansätze oder die freie Wahl zwischen mehreren Lösungswegen bietet das Spiel nur selten, obgleich sich dies in einer offenen Spielwelt sehr angeboten hätte.
Im Verlauf des Spiels wirkt sich die fehlende Interaktivität der Missionen auch auf die Handlung an sich aus, die im Grunde nur davon lebt, dass sie gut geschriebene Charaktere beinhaltet. Eine gehaltvolle Erzählung mit Höhen und Tiefen, Wendungen und Überraschungen, in die man als Spieler merklich eingreifen kann, sucht man hier vergebens. Stattdessen spielt man lediglich eine strikt vorherbestimmte Abhandlung von Ereignissen ab. Große Momente werden lediglich in den Zwischensequenzenen geschaffen, in denen der Spieler noch weniger Einfluss aufs Geschehen hat als ohnehin schon. Bei einem Videospiel sollte es doch eher andersherum sein. In diesem Beitrag liegt der Fokus allerdings hauptsächlich auf dem Gameplay der Missionen, die Qualität der Handlung lassen wir hiermit also wieder außen vor. Durch das bestenfalls mittelmäßige Spielgefühl abseits der offenen Welt verfliegt der Zauber, den Red Dead Redemption 2 erzeugt, überraschend schnell und man ärgert sich stattdessen wieder über zu lange Animationen, träge Bewegungsabläufe und zu häufige daraus resultierende Tode. Hübsche Optik kann eben auch hinderlich sein, wenn man durch diese ins Gras beißt. Red Dead Redemption 2 fühlt sich in solchen Momenten alles andere als befriedigend an.
Die belanglose Schießbude, zu der Red Dead Redemption 2 deutlich zu häufig verkommt, macht das Spiel ungewollt oft zum Comedy-Akt. Traurigerweise geschieht dies auch in Momenten, in denen das Spiel eigentlich eine gänzlich andere Emotion auslösen möchte. Aber wenn nach einem fehlgeschlagenen Banküberfall plötzlich wie aus heiterem Himmel gefühlt hunderte Polizisten in einem kleinen Dorf antreten und bei der anschließenden Flucht an allen Ecken und Enden aus dem Gebüsch hüpfen, haut das Spiel niemandem mehr vom Hocker, der immersive Gameplay-Momente erwartet. Quasi im Sekundentakt wird man beim Fliehen in die Wildnis von seinen Kumpanen darauf hingewiesen, von welcher Richtung die nächste Gegnerwelle angeritten kommt. Und plötzlich ist der Spuk dann vorbei und Arthur verlautet „I think we’re clear“ oder eine Abwandlung davon. Das alles passiert derart häufig, dass ich zu Beginn einer jeden Schießerei bereits ein feistes Lächeln auf den Lippen hatte und mit den Augen rollte. Und ich bin mir sicher, dass das nicht die Intention der Jungs und Mädels von Rockstar Games war. Und das ist doppelt schade, da das Gunplay an sich ja sogar ordentlich Laune macht. Es wird nur eben im falschen Kontext eingesetzt beziehungsweise übernutzt.
Die Missionen von RDR 2 – mein Fazit:
Während die Gestaltung der Spielwelt von Red Dead Redemption 2 neue Maßstäbe setzt, scheint das Design der Missionen aus einer längst vergangenen Zeit zu stammen. Unglaublicher Detailreichtum, realistische Darstellung von Vegetation und eine Objektdichte, die derzeit ihresgleichen sucht stehen Gameplay gegenüber, das zuweilen sogar ungewollt zu einer Lachnummer verkommt. Bei all der Finesse beim Erschaffen einer glaubwürdigen Welt ist es Rockstar Games nicht gelungen, in dieser ähnlich beeindruckte Missionen zu kreieren und einzubinden. Legt man die Grafik-Brille ab und betrachtet das Spiel ohne seine fantastische Optik, bleibt insbesondere bei der Haupthandlung, die doch gerade das spieltechnisch ergreifendste Element sein müsste, ein ziemlich fader Nachgeschmack.
Die Welt von Red Dead Redemption 2 braucht die Missionen ebenso wenig wie die Missionen die offene Spielwiese brauchen. Einen sinnvollen Zusammenhang gibt es kaum und die beiden Elemente könnten zudem qualitativ nicht unterschiedlicher sein. Ich hoffe doch sehr, dass die Entwickler bei ihrem nächsten großen Open-World-Titel, welcher vermutlich auf den Namen Grand Theft Auto VI hören wird, eine Angleichung beider Spielaspekte ins Visier nehmen. Die Welt von Red Dead Redemption 2 ist doch eigentlich viel zu wertvoll, um sie für derart veraltete und spielerisch monotone Missionen zu verschwenden.