The Ascent & die herausragende Präsentation einer kunstvollen Spielwelt

The Ascent Banner

Wenn ich an Twin-Stick-Shooter denke, kommen mir zumeist Spiele mit Retro-Optik, 8-Bit-Soundtrack und schnellem aber im Grunde recht überschaubarem Gameplay in den Sinn. Dementsprechend reizte mich das Genre bisher nicht sonderlich und mehr als ein paar Minuten schaffte es keines dieser Spiele, mich am Ball zu halten. Bis jetzt. Denn Zeiten ändern sich und auch die Definition der besagten Shooter mit Vogelperspektive und simpler Controller-Steuerung weicht auf. Das Ende Juli erschienene The Ascent wurde vielerorts eben diesem Genre zugeordnet und erlangte meine Aufmerksamkeit besonders durch die angepriesenen Koop-Features und die direkt ins Auge springende visuelle Darstellung. Wer hätte gedacht, dass 2021 ausgerechnet ein Twin-Stick-Shooter zu den schönsten Veröffentlichungen des Jahres zählt?

Bereits im ersten Beitrag nach der Konzeptumstellung beim Videospielkombinat lobte ich ein Spiel, welches mit einer Vogelperspektiven-Kamera ganz neue Blickwinkel auf die Welt ermöglichte, als es seine Vorgänger in klassischer Third-Person taten. In Darksiders Genesis diente die hochgestellte Kamera nicht nur der Übersicht in den Kämpfen, sie offenbarte zugleich tolle Panoramen und machte viele Momente zu einem visuellen Erlebnis. Auf The Ascent treffen beide Aspekte ebenso zu und ich könnte den exakt selben Artikel glatt noch einmal verfassen. Viel lieber möchte ich allerdings darauf ansprechen, wie wunderbar stimmig, stilvoll und detailreich die Welt des bis zur Veröffentlichung völlig an mir vorbeigegangenen Spiels gestaltet wurde. Das Team, welches für die visuelle Umsetzung zuständig war, hat definitiv einen Orden verdient!

Nach der rudimentären Charaktererstellung bestätigen schon die ersten Schritte in The Ascent, was sich fortan durchs komplette Spiel ziehen wird: Die Welt wurde unfassbar aufwändig visualisiert und mit unzähligen Details gefüllt. Selten wurde eine Atmosphäre so schnell und eindrucksvoll vermittelt, wie es hier der Fall ist. Jede noch so unbedeutende Ecke wurde mit Leben gespickt und die visuelle Komposition der Elemente ist von der ersten bis zur letzten Sekunde rundum gelungen. Rostige Rohre schlängeln sich über das Labyrinth an Gittern, die den wenigen Arbeitern am untersten Ende des gigantischen Gebäudekomplexes als Wege dienen, während der Gestank von Abwasser, Müll und verrottendem Fleisch förmlich sichtbar ist. Je weiter man nach oben steigt, desto lebenswürdiger werden die Bedingungen. In Cluster 13, einem großen Zentrum in den immer noch unteren Ebenen, werden wir Zeuge der ersten Ansammlung von Straßenhändlern, Bars und kleinen Läden, die die vielen umherstreifenden Bewohner zum Flanieren einladen.

Der hohe Detailgrad der optischen Einflüsse endet jedoch nicht bei der Objektfülle an sich. Vielmehr sind es auch die vielen verschiedenen visuellen Elemente, die das wundervolle Gesamtbild komplettieren. Speziell fallen hier die tolle Beleuchtung und der Einsatz von Gasen und Nebel ein, die die Dynamik der Szenerien unterstreichen. Typisch fürs Cyberpunk-Setting werden wir von allerhand auffälligen Reklameschildern, technisch modifizierten Menschen und sogar Werbevideos durch die Luft tragenden Drohnen konfrontiert, deren Werbebotschaften den Dunst der engen und ansonsten sehr tristen Gassen aus Metall in buntes Licht hüllen. Sehr scharf wirkende Texturen und wuchtige Waffen-Visualisierungen, wie zum Beispiel den Raum erhellende Energieflinten, runden das imposante Gesamtbild ab. Ich kann gar nicht oft genug betonen, wie prall gefüllt mit Inhalten die Welt von The Ascent wirkt und wie stimmig diese dank der Vielzahl an Effekten, Animationen und Lichtquellen in Szene gesetzt werden.

Hierbei ist wiederum auch die Kameraperspektive von Vorteil, lässt sie den Spieler doch noch tiefer und umfassender in eine Welt blicken, die von monumentaler Größe nur so strotzt. Erfreulich ist, dass es dank dynamischer Sichtfeldausrichtung und Fokus auf alle Mitspieler auch im Koop keinerlei Sichtprobleme gibt – die Kamerafokussierung funktionierte in den vielen Stunden, die wir im Spiel verbrachten, tadellos. Man kann sich also voll und ganz auf das Einsaugen der optischen Eindrücke fokussieren, wenn man nicht gerade mitten im Gefecht steckt. Riesengroße Kolben und andere massive Maschinerien, ein nicht enden wollendes Meer an häuserähnlichen Unterkünften und die vielen Endzeit-Anekdoten einer weit entfernten Zukunft, in der die Corpocracy – also die Herrschaft einiger weniger Großkonzerne – die etablierte Regierungsform ist, beherrschen das abwechslungsreiche und jederzeit sehr aufregende visuelle Repertoire von The Ascent.

Zu der ansehnlichen Optik gesellt sich ein ebenso geschmackvoller Soundtrack. In den mit Bewohnern vollgestopften Arealen bekommen wir größtenteils atmosphärisches Hintergrund-Gedudel zu hören und das Hauptaugenmerk liegt stattdessen auf den Radio- und TV-Durchsagen und verschiedenen Dialog-Fetzen der Passanten. Kommt es allerdings zum Kampf und man zückt die ballistischen Meinungsverstärker, ertönt plötzlich ohrwurmartige Musik und man schießt sich im Einklang mit eben dieser seinen Weg durch die Widersacher. Der Klang der retrofuturistischen Stücke, die an Synthwave-Sounds der 80er und 90er erinnern, fördert die Gameplay-Dynamik mit stimmungsvollen Beats und Rhythmen. Einige Lieder sind derart einprägsam, dass man sich förmlich freut, wenn sie während eines Feuergefechtes einsetzen und im Takt mitzuwippen beginnt. Und obwohl die Musikrichtung normalerweise gar nicht mein Stil ist, haben es diverse Tracks sogar auf meine privaten Playlists geschafft – und sei es nur zur Erinnerung an die tollen Ballerorgien!

Doch was nützt eine wundervoll anzusehende Welt, wenn man sie hastig durchquert und die wundervollen Vistas nur kurz zu Gesicht bekommt? Wie gut, dass The Ascent einen anderen Designansatz in Sachen Levelgestaltung verfolgt. Zwar würde ich das Spiel nicht gänzlich als Open World bezeichnen, jedoch gibt es durchaus einen sinnigen Zusammenhang zwischen den Ebenen des Gebäudekomplexes und auf den diversen Etagen kann man sich sehr frei bewegen, sofern man sich auch mit höherstufigen Gegnern anlegen will. So ist beispielsweise das bereits angesprochene Cluster 13 ein Hub, zu welchem man für Haupt- und Nebenaufträge nach getaner Arbeit oft zurückkehrt. Doch was tut man denn eigentlich den lieben langen Tag – oder die Nacht, so ganz lässt sich das nicht bestimmen, da die Welt nur von künstlich erzeugtem Licht bestrahlt wird – in The Ascent? Beim Gameplay gibt es durchaus einige Parallelen zum anderen Vergleichsrahmen, der neben dem Twin-Stick-Shooter-Genre des Öfteren herangezogen wird: Diablo und Action-RPGs.

Neben der Sightseeing-Tour durch die unterschiedlichen Areale, die allesamt ihre Daseinsberechtigung haben und weitestgehend in sinnvoller Relation zueinander angeordnet sind – ein riesiges Paketlager liegt beispielsweise unweit vom Weltraumhafen – wird natürlich in bester Actionfilm-Manier auf recht doofe Gegner geschossen, was das Zeug hält. Anspruchsvoller als etwa Diablo 3 wird es dank Ausweich- und Deckungsmechanik aber definitiv – man muss schon aufpassen, nicht dauerhaft im Kreuzfeuer zu stehen. Im Stil klassischer Action-Rollenspiele sammelt man von getöteten Gegnern und aus versteckten Kisten neue Ausrüstungsgegenstände oder bekommt diese für das Erledigen von Quests. Alternativ kauft man Waffen und Rüstungen in einem der vielen Shops oder lässt liebgewonnene Schießeisen verstärken.

Der eigene Charakter lässt sich dabei dank verschiedenster Fähigkeiten und Augmentationen an den eigenen Spielstil anpassen und mit Skillpunkten auf diverse Attribute verbessern. Raum für Experimente entstehen besonders bei den Spezialfähigkeiten und der Kombination derer mit den unterschiedlichen Waffengattungen. So kann ich zum Beispiel als schrotflintenschwingender Frontkämpfer in die Gegner hineinspringen und dann per Hyper Focus dafür sorgen, dass deren Projektile verlangsamt werden, um selbst nicht getroffen zu werden. Super ist, dass jede neue Fähigkeit auf ihre eigene Art cool ist und nichts wie von der 0815-Stange wirkt. Da macht das Erkunden der fabelhaften Umgebungen gleich doppelt Spaß. Übrigens lässt sich der eigene Charakter genau wie im Editor zu Beginn des Spiels jederzeit völlig neu gestalten, wie es sich für eine Cyberpunk-Welt gehört…

Etwas weniger spaßig sind hingegen die Bugs und Glitches, die The Ascent derzeit noch plagen. Übersetzungsfehler in den Texten des nur in englischer Sprache vertonten Spiels sind da noch das kleinste Problem. Vor und nach den ziemlich langen Ladezeiten kommt es immer mal wieder zu komplettem Bildstillstand und man hofft, dass das Spiel nicht abstürzt (was leider in meinen Sessions zu oft vorkam). Ruckler stören den ansonsten sehr flüssigen Spielverlauf zu häufig. Zudem funktionieren Aufzüge im Koop-Modus in gefühlt 90% der Fälle nicht richtig und Dialoge, die nicht der Host auslöst, wurden bei uns bisher immer außerhalb des Sichtfelds angezeigt. Ärgerlich und auf Dauer ziemlich nervig. Unzweckmäßig ist zudem in vielen Belangen die Karte, auf der die genaue Orientierung oft schwer fällt. Erschwerend kommt hinzu, dass viele der Texte aus der Ferne auf dem Fernseher sehr klein geraten sind und definitiv angepasst werden sollten, stehen sie doch völlig konträr zum zentralen Couch-Koop-Gedanken.

Viele wird es zudem sicherlich stören, dass jederzeit nur ein Charaktermenü geöffnet sein kann und man auch bei Händlern warten muss, bis der vorherige Spieler mit seiner Shopping- und Verkaufs-Tour fertig ist. Das haben andere Titel schon deutlich besser hinbekommen und ich hoffe, dass insbesondere die spielspaßtrübenden Fehler schnell der Vergangenheit angehören. Insgesamt fühlt sich The Ascent also so an, als wäre es einige Wochen oder Monate zu früh erschienen. Schade, denn die Bugs trüben nach einiger Zeit auch jedes noch so schön anzusehende Panorama. Aufgrund der Fehler würde ich auch in den allermeisten Fällen davon abraten, The Ascent sofort zu spielen. Lieber wartet man einige Monate, dann läuft das Ganze sicherlich deutlich runder und Kinderkrankheiten sind ausgemerzt.

The Ascent Weitsicht

Mein Fazit zu The Ascent:

Quasi aus dem Nichts kommend hat mich The Ascent sehr positiv überrascht. Im Normalfall habe ich ein ziemlich breites Wissen über aktuelle Spiele, weshalb ich logischerweise ziemlich baff war, dass ein derart hübsches Spiel mit lebendiger und in sich geschlossen wirkender Welt fast völlig an mir vorbeigegangen wäre. Und dabei hat The Ascent sogar Couch-Koop, ein Feature, das ich in zu vielen Fällen unheimlich vermisse!

Das Worldbuilding in The Ascent wurde meiner Meinung nach perfektioniert und es macht einfach Spaß, den multikulturellen Mischmasch und das Potpourri aus verschiedenen Rassen in der dystopischen Wellblech- und Stahl-Stadt zu entdecken. Überall finden sich Einflüsse aus verschiedenen Kulturen der Welt – asiatische und russische Schriftzeichen mischen sich munter in die englischen Werbeschriften – und selbst außerirdisches Leben hat sich bereits breit gemacht. Ich kann The Ascent jedem Cyberpunk-Fan nur wärmstens empfehlen! Die eindrucksvoll gestaltete Welt sollte man sich definitiv nicht entgehen lassen. Noch spaßiger wird’s natürlich im Koop, hier ist dann die Vogelperspektive natürlich erneut ein Vorteil, da sich die zusätzlichen Spieler einfach mit auf dem kompletten Bildschirm tummeln können.

Ähnlich wie in Darksiders Genesis ermöglicht die Kameraperspektive einen tiefen Einblick in die Szenerien und offenbart dabei zu jeder Sekunde eine tolle visuelle Finesse. The Ascent sieht einfach fantastisch aus und ich kann gar nicht genug davon bekommen, wenn mein Raketenwerfer im Kampf gegen einen überdimensionalen Mech den Putz von den Wänden fegt, während im Hintergrund bunte Schilder flackern und Passanten panisch aus dem Kampfgebiet fliehen. Der stimmungsvolle Regen tut dann sein übriges und die Atmosphäre des Moments ist einfach perfekt. The Ascent ist für mich durch die Präsentation seiner Spielwelt trotz der störenden Bugs und Glitches ein ganz klares Highlight des Jahres 2021!

The Ascent im Humble Store kaufen und das Videospielkombinat unterstützen!