High on Life: Wenn sprechende Waffen ein Problem des Shooter-Genres lösen

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Es gibt diese Art von Spiel, die nicht für jedermann gemacht ist. Entweder ist das Gameplay zu speziell, das Setting zu kompliziert für Außenstehende oder der Grafikstil zu nischenhaft. Zum Jahreswechsel konnte ich mit High on Life ein solches Spiel erleben, das sich rasch zu einer ziemlich unterhaltsamen Erfahrung entwickelte. Grund dafür ist die geschickte Einbettung von Figuren in die Spielmechanik. Seine ganz besondere Note bekommt High on Life schlussendlich durch den unverkennbaren Humor von Justin Roiland, der vielen durch Rick & Morty ein Begriff sein sollte. Wer dort zum Lachen gebracht wird und etwas mit klassischen Shootern anfangen kann, sollte sich High on Life aus diversen Gründen nicht entgehen lassen.

Das Entwicklerstudio Squanch Games, das durch eben jenen Justin Roiland ins Leben gerufen wurde, hat sich im Virtual-Reality-Bereich mit Trover Saves the Universe bereits einen Namen machen können. Auch ich hatte bereits viel Spaß mit dem Spiel, musste dann aber enttäuscht feststellen, dass die Speicherstände nicht in der Steam Cloud hinterlegt werden. Vielleicht wage ich irgendwann einmal einen Neustart – mein Backlog an nicht beendeten Spielen wird jedenfalls so schnell nicht abgearbeitet.

High on Life lässt das Nebendasein der VR-Welten nun hinter sich und erscheint als klassisches Videospiel für alle wichtigen Plattformen. Zugegeben – ich hätte es sicherlich nicht für den Vollpreis gekauft. Hier konnte glücklicherweise der Game Pass wieder glänzen, der mir schon im vergangenen Jahr viele interessante Titel nähergebracht hat, wie ich kürzlich in unserem Jahresrückblick erläuterte. Im Game Pass konnte High on Life dann auch gleich einige Rekorde brechen, wie berichtet wurde. Und meiner Meinung nach liegt das nicht nur am kruden Humor, sondern auch an der gelungenen Implementierung der Nebenfiguren.

High on Life geht mit dem Trend, Spiele nicht unnötig zu verkomplizieren, und versucht beim Gameplay nicht zwanghaft modern oder ausgefallen zu sein. Stattdessen erwartet uns spielerisch ein ziemlich klassischer Ego-Shooter mit verschiedenen Waffen und diversen klar voneinander unterscheidbaren Gegnertypen. Einzig die Gestaltung der Welt weicht vom Oldschool-Charme ab, hier setzt das Spiel auf diverse zuweilen recht offene Gebiete, die zur Suche von versteckten Kisten einladen. High on Life bedient sich dabei auch beim Metroidvania-Genre und versorgt den Spieler nach und nach mit neuer Ausrüstung, die nicht nur im Kampf hilfreich ist, sondern auch für neue Bewegungsmöglichkeiten sorgt. So können dann vorher unüberwindbare Hindernisse passiert und neue Abschnitte eines Levels erreicht werden – das motiviert und sorgt für Aha-Momente, wenn man sich an zuvor bereits entdeckte Wege erinnert, die man nun erreichen kann.

Visuell setzt High on Life im krassen Gegensatz zu vielen anderen Genrevertretern auf einen sehr farbenfrohen Stil, der mit seiner comicartigen Darstellung von Objekten und Figuren wunderbar mit dem Witz des Spiels harmoniert. Die vielen Farben machen die Umgebungen nicht nur ansehnlicher, sie helfen in hektischen Szenen oder knackigen Bosskämpfen dank starker Kontraste auch, die Übersicht zu bewahren. Bleiben wir beim Thema Kämpfe und steigen nun ein in den wohl wichtigsten Faktor für den Erfolg von High on Life, der Gameplay mit Handlung und Charakterpräsentation verwebt. Mit einer klein wirkenden Designentscheidung sorgt das Spiel für viele witzige Szenen und löst zugleich ein Problem des Shooter-Genres: Die Figuren mit dem wichtigsten Tool eines Shooters – der Waffe – zu verschmelzen, ist wahrlich eine grandiose Idee, von der viele Spieledesigner etwas lernen können.  Dass hinter der Idee mehr steckt als der bloße Humor, wird dabei erst beim genaueren Hinschauen ersichtlich.

Ego-Shooter haben seit jeher ein Problem. Das oftmals sehr hektische und schnelle Gameplay verzeiht keine Ablenkung und motiviert im besten Fall durch gutes Gunplay, knackige Bewegungsabläufe und gut abgestimmte Gegner. Doch in den actiongeladenen Szenen bleibt meistens keine Zeit, die Geschichte des Spiels voranzubringen. Viele Shooter streuen daher hin und wieder Zwischensequenzen ein, die den Spieler nicht selten aus dem Flow werfen und mit einem Überfluss an Exposition und „tell, don’t show“ den Spieler auf dem falschen Wege wenigstens ein bisschen von der halbgaren Story zu vermitteln. Schließlich muss ja irgendwie Spannung für einen Cliffhanger aufgebaut werden, der für die Verkäufe des schon geplanten Nachfolgers sorgt. Nach und nach haben insbesondere etwas ruhigere Shooter auch damit angefangen, während des Spielens mit Voiceover-Nachrichten übers Geschehen zu plappern und so versucht, dem Geballer einen tieferen Sinn zu geben. Doch all das fühlt sich weder sonderlich gut an, noch trägt es zu einer gut vermittelten Handlung bei. High on Life schafft hier, was bisher noch keinem anderen mir bekannten Spiel derartig gelungen ist: Es erfindet diese nicht zusammenpassen wollende Kombination aus Gameplay und Geschichte im Shooter-Genre neu.

High on Life Waffe

Gleich zu Beginn von High on Life treffen wir durch ein schicksalhaftes Ereignis auf die Pistole Kenny, welcher uns Fortan stets begleitet. Wir schleppen ihn ja schließlich in unserem Sichtfeld vor uns her, während er mit unglaublich vielen unterhaltsamen, witzigen und weltausbauenden Textzeilen von sich hören macht. Selbst in den Kämpfen weisen uns die Waffen-Begleiter auf bestimmte Dinge hin und raten beispielsweise zur Nutzung von Spezialangriffen. Der Vorteil bei all dem liegt wortwörtlich auf der Hand: Man unterbricht das Gameplay nicht für Storytelling und Worldbuilding und andersherum. Natürlich verfügt auch High on Life über klassische Dialog-Szenen, allerdings wird der größte Teil der Handlung direkt mit und von Kenny und Konsorten beschrieben, eingeordnet und mit viel Charme kommentiert. Man muss in High on Life also nicht erst zum Auftraggeber oder in ein Hub zurückkehren – stattdessen trägt man seine Dialogbringer stets als Waffen mit sich, die man in jedem Shooter ja sowieso mit sich herumträgt. Und selbst in diesen reinen Dialogen sprechen dann die Waffen wiederum ein Wörtchen mit, sodass stets eine direkte Verbindung zum Gameplay bestehen bleibt.

Damit sind die Waffen in High on Life nicht nur typisches Mittel zum Zweck, wie es sich für Shooter gehört, sie bekommen zugleich auch Charaktertiefe und Bedeutung verliehen. Denn wie sich im Laufe der überschaubar langen und dennoch nicht zu kurz wirkenden Handlung herausstellt, steckt mehr hinter den Geschehnissen, als sich anfangs vermuten lässt. High on Life gewinnt an dieser Stelle sicherlich keine Preise für eine grandiose Handlung, als Rahmen für die Weltgestaltung und das Gameplay ist diese allerdings fokussierter und motivierender als im Durchschnitt der Ego-Shooter. Dass man den Dialogen mehr Beachtung schenkt und somit auch der Geschichte aufmerksamer folgt, liegt insbesondere auch daran, dass der Zeichen- und Animationsstil des Spiels sich auch wunderbar auf die Waffen überträgt. Das breite Grinsen von Kenny gepaart mit der stottrigen Stimme von Justin Roiland passt wie die Faust aufs Auge und fügt sich stimmig in die verrückte Welt ein, die glatt einer Folge Rick & Morty entsprungen sein könnte.

Und hier zeigt sich dann auch gleich die wohl größte Schwäche von High on Life: Wenn man Rick & Morty und andere Werke von Justin Roiland nicht mag, wird einen der Humor auch in High on Life nicht abholen. Und da ein Großteil des Spiels auf eben diesem Humor aufbaut, wird man den Controller schneller beiseite legen, als Kenny einen wie ein Wasserfall über ein absolut unwichtiges Thema informieren kann. Der Spielspaß von High on Life steht und fällt mit dem Interesse an seiner sehr speziellen Komik. Persönlich bin ich Fan der Slapstick-Art von Rick & Morty und konnte wie erwähnt mit Trover Saves the Universe einige sehr unterhaltsame Minuten verbringen, es geht an dieser Stelle aber sicherlich nicht allen so. Betrachtet man das reine Gameplay, so kann es nicht mit Genregrößen mithalten und erreicht beileibe nicht den unfassbar guten Flow eines Rage 2, welches mir bis heute als Überraschungshit in Erinnerung geblieben ist. Im Umkehrschluss bedeutet das allerdings auch, dass Freunde von Roilands Art mit High on Life sehr auf ihre Kosten kommen und das Spiel definitiv im Auge behalten sollten.

High on Life Boss

Mein Fazit zu High on Life:

Red Dead Redemption 2 schaffte es, die Positionierung der Auftraggeber in einer Open World durch ein sich über die Karte bewegendes Camp zu modernisieren und dafür zu sorgen, dass es kaum unnötige Laufwege gab. Es mag ein wenig seltsam klingen, aber High on Life schafft Ähnliches im Ego-Shooter-Genre mit der Kreation der sprechenden Waffen.

Fans vom typischen Justin-Roiland-Humor á la Rick & Morty werden High on Life lieben. Die Begleiter in Waffenform, die man stets bei sich trägt und mit denen man gemeinsam das Abenteuer bestreitet, sind allesamt toll geschrieben und vor allem sehr gut vertont (wenn auchleider nur auf Englisch). Beim Shooter-Gameplay orientiert sich High on Life sehr an Oldschool-Titeln – hier zeigt sich das Spiel von seiner altmodischsten Seite, was sicherlich nicht jedem gefallen wird.

Was wünsche ich mir also von einem potentiellen zweiten Teil? In erster Linie bessere Shooter-Mechaniken. Die Idee der Verknüpfung der Figuren mit dem wichtigsten Tool eines Shooters ist erdacht, nun gilt es, das eigentliche Gameplay zu verbessern und auszuarbeiten. Das Potential ist auf jeden Fall vorhanden und ich hoffe, dass auch andere Studios sich die Idee in irgendeiner Form zunutze machen. Wer weiß, vielleicht erscheint in ferner Zukunft ja endlich mal ein Rennspiel mit guter Handlung – in dem das jeweilige Auto in bester Cars-Manier direkt zu uns spricht und damit nicht nur fahrbarer Untersatz sondern zentrale Figur mit Einfluss auf die Handlung wird.

Dass dieser Artikel nun ganz am Ende noch eine bittere Note bekommt, liegt an einer Mitteilung die just in dem Moment eintrudelte, als ich dieses Fazit tippte. Das Entwicklerstudio Squanch Games und der mehrfach erwähnte Kopf hinter all dem, Justin Roiland, trennen sich. Der von mir vor wenigen Absätzen erdachte zweite Teil könnte also etwas anders werden, als ich mir das vorgestellt habe. Wir werden sehen.

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