Wie die Einfachheit von Immortals Fenyx Rising zu verständlicher Komplexität führt

Schon als Immortals Fenyx Rising noch als Gods & Monsters bekannt war und von Ubisoft nur ein kleiner Teaser mit sattgrüner Wiese und einigen Tempelsäulen auf einem Hügel gezeigt wurde, war mein Interesse geweckt. Ich bin einfach ein Liebhaber des verspielten und meiner Meinung nach toll anzusehenden Grafikstils, wie man ihn auch von The Legend of Zelda: Breath of the Wild oder sogar Fortnite kennt. Vor einigen Monaten begann ich dann mein Abenteuer in der Welt von Immortals und wurde sofort vom eingängigen Gameplay-Loop eingefangen. Im folgenden Beitrag möchte ich die größte Stärke des Spiels erläutern und begründen, warum die Beschränkung auf eine kleine Auswahl von Konzepten schlussendlich dazu führt, dass sich auch komplexere Situationen interessant und befriedigend anfühlen.

Immortals Fenyx Rising wurde in einer im Videospiel-Bereich sehr belebten Zeit des Jahres 2020 veröffentlicht. Innerhalb kürzester Zeit erschienen auch der dritte Teil der durchaus beliebten Ubisoft-Reihe Watch Dogs sowie mit Valhalla die Fortsetzung des Assassin‘s-Creed-Franchises. Zu allem Überfluss fiel das alles auch noch in den Veröffentlichungs-Zeitraum von Cyberpunk 2077, einem der wohl meisterwartetsten Spiele aller Zeiten. Doch Ubisoft hat an dieser Stelle augenscheinlich richtig gepokert, den Cyberpunk war leider eine mittelgroße Katastrophe und demnach blieb vor allem für das wichtige Weihnachtsgeschäft genug Platz für die drei Ubisoft-Marken.

Und obwohl ich dachte, dass eine neue Marke wie Immortals dabei ein wenig ins Hintertreffen geraten würde, sagen die Verkaufszahlen etwas anderes. Demnach hat sich Fenyx Rising sehr gut verkauft und es wird schon an einer Fortsetzung gearbeitet. Sehr erfreulich, denn mir persönlich gefallen neue Ideen im Rahmen der zum Teil sehr oft wiedergekauten Ubisoft-Formel natürlich besonders gut! Mein Kauf von Immortals Fenyx Rising hatte wohl auch ein wenig mit der Unterstützung frischer Ansätze zu tun. Ich erwartete hier keineswegs eines der unterhaltsamsten Spiele der letzten Jahre – und wurde dadurch sehr positiv überrascht!

Immortals Fenyx Rising beginnt ziemlich klassisch mit dem Erwachen an einem Strand, nachdem wir unseren wahlweise männlichen oder weiblichen Charakter im rudimentären Editor zusammengebastelt haben. Beim Erklimmen der hohen Klippen erlernen wir erste Mechaniken des Jump-’n‘-Run-Gameplays, welches uns im Spiel ziemlich häufig begegnen wird. Denn die sagenumwobene Insel, auf der wir gelandet sind, bietet in den unterschiedlichen Biomen allerhand geografische Hindernisse, die es zu überwinden gilt. Wer Breath of the Wild schon einmal in Aktion gesehen hat, dem wird die Kletter-Mechanik sehr bekannt vorkommen. Statt wie etwa in Assassin’s Creed nur an realistisch greifbaren Kanten und Ritzen an einer Wand halt zu finden, kann Fenyx nahezu alles erklimmen, sofern die Ausdauer dafür reicht. Der letzte Teil der Zelda-Reihe ist ein gutes Stichwort, denn Immortals scheut nicht davor, diverse Elemente des Nintendo-Hits zu übernehmen.

„Aber das ist doch eine dreiste Kopie und nichts wirklich neues!“ – Ja, könnte man  meinen. Die Bausteine, die teilweise durchaus aus anderen Titeln stammen,  werden in Immortals Fenyx Rising allerdings sehr gelungen zusammenfügt. Fakt ist, dass alle Teilaspekte von Immortals sowohl einzeln als auch im Gesamtbild sehr gut funktionieren. Die bereits erwähnte Kletterei wird durch die interessante Gestaltung der Spielwelt motivierend, da es an jeder noch so unscheinbaren Ecke etwas zu entdecken gibt. Die anfänglich noch recht simplen Kämpfe sorgen für die nötige Action, während die Rätsel die grauen Zellen fordern und für ruhigere Entspannungs-Phasen dienlich sind. Als allumfassendes Bindeglied fungiert eine Geschichte, die besonders durch ihre beiden fabelhaften Erzähler aufblüht und an Spannung gewinnt.

Und so vergeht die Zeit wie im Flug, wenn man nur noch einen der vielen neuen Orte auf der Karte aufdecken möchte oder nur noch das eine Rätsel für das Erreichen eines Zwischenziels geknackt werden muss. Immortals Fenyx Rising hat mich persönlich mit seinem Gameplay-Loop aus Erkundung, Jump ’n‘ Run, Prügeleien und Rätseln schon nach wenigen Minuten voll abgeholt und wirkte trotz der Fülle an Dingen, die es zu tun gab, nie überladen oder verkompliziert. Hauptaugenmerk wurde beim Design darauf gelegt, dass die verschiedenen Mechaniken zwar zu Beginn ziemlich einfach sind, nach und nach aber an Komplexität gewinnen und dadurch den Spieler gemeinsam mit Fenyx erstarken lassen. Gegen Ende des Spiels führt das dazu, dass man nicht etwa überfordert von den vielen Möglichkeiten ist, sondern diese nahezu perfekt zu nutzen weiß und somit auch größere Herausforderungen gut vorbereitet angehen kann. Besonders ausschlaggebend für den Erfolg des Konzeptes sind zwei Elemente des Spiels: das Kampfsystem und die Rätsel-Gestaltung.

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Mächtige Gegner sind mit gezielten Angriffen und Konzentration kein Problem!

Der Tanz mit dem Feind – eine Symphonie des Todes

Praktisch alle Elemente von Immortals Fenyx Rising beruhen auf der Philosophie, dem Spieler zu Beginn einige wenige Möglichkeiten an die Hand zu geben und diese nach und nach zu erweitern. Das gilt insbesondere auch für das Kampfsystem, welches wie bereits erwähnt in den ersten Abschnitten des Spiels recht simpel erscheint. Schlagen, Ausweichen und Blocken – das alles kennen wir aus anderen Action-Titeln. So fühlt man sich in den Startminuten direkt heimisch, verspürt aber auch eine Art von Unterlegenheit und Schwäche. Damit überträgt sich die Gefühlswelt des Hauptcharakters, der sich in einer ziemlich aussichtslosen Lage befindet und sich selbst eher als Mitläufer sieht, direkt auf den Spielenden. Mit Fortschritt im Spiel wird Fenyx natürlich stärker, bekommt neue Ausrüstung und lernt neue Fähigkeiten. Letztere lassen sich sogar verbessern und verändern, sodass man das Gameplay an den eigenen Spielstil anpassen kann. Eine wichtige Info am Rande: Das Spiel bietet ein gutes Transmog-System, dass man die Werte einer starken Rüstung problemlos mit dem schicken aussehen einer anderen kombinieren kann. Fenyx sieht also immer sehr fesch aus!

Während Fenyx immer mächtiger wird und neue nützliche Kampffertigkeiten dazulernt, sammeln wir auf unseren Streifzügen durch die Welt auch neue Ausrüstung ein. Diese ist nicht nur optischer Natur, sie sorgt selbsterklärend auch für eine stetige Erhöhung des ausgeteilten Schadens. Viel wichtiger ist allerdings, dass sowohl die Waffen als auch die Rüstungen bestimmte Effekte mit sich bringen, die wiederum erneut dafür sorgen, dass man Fenyx seinen eigenen Vorlieben entsprechend ausbauen kann. So erhöht sich bei einem Schwert beispielsweise der Schadenswert, solange man sich in in luftiger Höhe befindet. Eine dazu symbiotisch passende Rüstung verstärkt gleichzeitig die Ausdauerregeneration bei Treffern aus der Luft  – eine perfekte Kombination für Spieler, die gerne in Windeseile zwischen den Gegnern hin und her springen und dabei kaum den Boden berühren möchten.

Wo viele Spiele das Problem in sich tragen, dass man die coolste Ausrüstung und die stärksten Fähigkeiten erst am Ende erhalten, wenn man sowieso bald den Abspann sieht, geht Immortals Fenyx Rising glücklicherweise einen anderen Weg. Sofern man aufmerksam spielt und sich nicht stur auf die Hauptaufgaben fokussiert, erlernt man die gewünschten Talente recht schnell und kann diese dann voll auskosten. Ab der Hälfte des Spiels hatte ich bereits eine abgestimmte und für meinen bevorzugten Kampfstil angepassten Mix aus Ausrüstungen und Fertigkeiten, sodass ich grazil und – Achtung, Eigenlob mit passender Allegorie! – wie ein junger Gott die dämonische Brut zurück in die Untiefen der Hölle schickte. Dass das dann ziemlich viel Spaß bereitet, müsste ich wohl nicht unbedingt extra erwähnen. Um die besagten Talente zu erlernen, benötigt es selbstverständlich eine spezielle Währung – im Fall von Immortals sind dies verschiedenfarbige Kristalle. Und diese bekommt man vornehmlich in den Dungeons, womit wir bereits beim zweiten wichtigen Aspekt von Fenyx Rising wären: den Rätseln.

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Farbenspiele & tolle Beleuchtung: So macht das Rätseln gleich doppelt Spaß!

Kopfzerbrechen für die Götter – Klasse statt Masse

Jeder noch so tapfere Held braucht neben den ganzen Kloppereien auch mal eine Pause. Für die nötige Entspannung der Muskeln und die gleichzeitige Anstrengung des Geistes sorgen die vielen in der Welt verstreuten Rätsel. Auch bei diesen wurde darauf geachtet, den Spieler nicht mit zu vielen Konzepten zu überwältigen und sich stattdessen auf einigen wenigen Mechaniken aufzubauen. An dieser Stelle gab es von einigen schon die Kritik, dass sich Immortals mit immergleichen Rätseln zufrieden gibt und dadurch doch kaum Abwechslung entstehen würde. Persönlich kann ich diese Aussagen auf keinen Fall unterschreiben, vielmehr sorgt die Fokussierung meiner Meinung nach dafür, dass im späteren Spielverlauf auch kompliziertere Aufgaben den Spieler nicht verschrecken und man sich stattdessen mit den bekannten Elementen weiter auseinandersetzen und sie auf gänzlich neue Wege anwenden zu wissen muss. Es ist wirklich erstaunlich, wie viel Abwechslung die Rätsel bieten, obwohl sie lediglich einigen wenigen Grundkonzepten entspringen. Nie gleichen sich zwei Lösungungen gänzlich, immer gibt es eine kleine geschickt eingebaute Varianz.

Konkret bedeutet dies, dass sich die Herausforderungen schnell verstehen lassen und man als Spieler nach den ersten Stunden bereits eine Vorstellung von den verschiedenartigen Mechaniken innerhalb der Rätsel hat. Der große Vorteil ist dann, dass man nicht andauernd mit Tutorials und einfachen Veranschaulichungs-Herausforderungen konfrontiert wird, sondern der Schwierigkeitsgrad stetig erhöht werden kann. Grundsätzlich unterscheidet Immortals dabei zwischen zwei Arten von Rätseln – denen auf der Insel und denen, die in gesonderten Dungeons in der Unterwelt stattfinden. Wo erstere sich noch nahtlos in die Welt integrieren und beispielsweise in den Ruinen eines verlassenen Tempels stattfinden, finden sie Dungeon-Herausforderungen in einem surrealen Raum statt, den wir aus vielen Teilen der Handlung des Spiels kennen. Diese soll allerdings nicht Thema des Beitrags sein. In diesen Arealen liegt der Fokus dann ganz klar auf der Lösung einer kniffligen Aufgabe, drumherum blickt man lediglich in ein endloses Nichts und steht nicht etwa an einer wunderschönen Allee mit sich durch die Landschaft schlängelndem Bach. Denn das sei an dieser Stelle nochmals erwähnt: Immortals Fenyx Rising sieht – wenn man dem Grafikstil etwas abgewinnen kann – fantastisch aus!

Während man also Kisten verschiebt, Schalter auslöst und trickreiche Sprungpassagen meistert, kann man zuweilen ganz schön ins Grübeln kommen. Knüppelhart sind die Rätsel trotzdem nicht, Frustration kommt also nie auf. Der Schwierigkeitsgrad war für meine Begriffe stets passend. Wenn man dann doch einmal etwas länger planlos ist und kein Ansatz so recht funktionieren möchte, freut man sich umso mehr, wenn es doch noch Klick macht und man sich fragt, warum zur Hölle man nicht eher darauf gekommen ist. Der Aha-Effekt motiviert dann gleich doppelt und hält bei der Stange. Damit man vor lauter Rätselei in den großen Dungeons nicht doch mal die Lust verliert, wird für eine Verschmelzung mit den flotten Kämpfen gesorgt. Hier treten dann auch ab und an richtig starke Monster in Erscheinung, die die volle Aufmerksamkeit beim Schwingen des Schwertes und Spannen des Bogens erfordern. Der Lohn für die ganze Plackerei? Wertvolle Ausrüstung und vor allem die begehrten Kristalle, mit denen man seinen Charakter weiter verbessern kann. Hier schließt sich also der Kreis zum Kampfsystem und dem stetig wachsenden Arsenal an Angriffen und Möglichkeiten, diese anhand der eigenen Vorlieben zu modifizieren.

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Geographische Höhen und Tiefen: Die Welt ist auf Klettern und Gleiten ausgelegt!

Mein Fazit zu Immortals Fenyx Rising:

Gleich aus mehreren Gründen entwickelte sich Immortals Fenyx Rising zu einem meiner Spielehighlights der letzten Monate. Sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass meine Erwartungen an die Neukreation von Ubisoft vor dem Start nicht allzu hoch waren, konnte mich das Abenteuer rund um Fenyx und die griechische Götterwelt mit all ihren Mythen und Legenden vollends in seinen Bann ziehen.

Das Erkunden der wundervoll gestalteten Inselwelt macht von der ersten Minute an Spaß und die lustige und zugleich ziemlich epische und vor allem von dem Erzählerduo Zeus und Prometheus grandios begleitete Handlung unterhält, ohne dabei aufdringlich zu wirken. Im Mittelpunkt des Geschehens steht jederzeit das Gameplay, was sich durch die zwei meiner Meinung nach sehr durchdachten im Artikel beleuchteten Elemente wunderbar unkompliziert und trotzdem befriedigend anfühlt. Besonders positiv hervorzuheben ist übrigens auch die Kamera, die sich auf Gegner feststellen lässt und gleichzeitig einen guten Abstand zur Spielfigur behält. So geht Übersichtlichkeit und Horizon Zero Dawn, welches ich parallel spielte, sollte sich hier definitiv eine große Scheibe abschneiden!

Durch Einfachheit zur Komplexität – das funktioniert nur, weil es Immortals Fenyx Rising gelingt, sich auf wenige Elemente zu fokussieren und den Spieler nicht mit zu vielen Mechaniken zu überfordern. Die gelernten Konzepte können so verfeinert und gemeistert werden. Besonders gilt das für den Kampf und die Rätsel – die beiden Hauptaspekte des Gameplays.

Ich freue mich auf jeden Fall darauf,  mich bald in die Erweiterungen zu stürzen, die das Spiel mit noch mehr Inhalten versorgen. Ebenso bin ich gespannt, wie es mit Immortals nach Fenyx Rising weitergeht – stehen wir hier am Beginn einer neuen Ubisoft-Marke?

Abschließend kann ich Action-Adventure-Fans mit Lust auf eine hübsche, witzige und spielerisch sehr gut abgeschmeckte Reise in die spannende Götterwelt des antiken Griechenlands Immortals Fenyx Rising sehr ans Herz legen. Auch diejenigen, die auf eine Portierung von The Legend of Zelda: Breath of the Wild auf ihre Plattform warten, werden hier eine sehr gute Alternative finden.