Als einen „schmalen Grat zwischen episch und trashig“ bezeichnete ich die erste Staffel der Netflix-Adaption von The Witcher im Januar 2020. Zwar konnten die ersten Folgen durchaus neue und alte Fans des Hexers gut unterhalten, für das ganz große Kino schwankte die Qualität allerdings zu sehr. Auch die viel diskutierte Erzählstruktur sorgte bei einigen Zuschauern für Verwirrung. Ganze zwei Jahre mussten wir nun auf die zweite Staffel warten. Hat sich die Wartezeit gelohnt? The Witcher geht in den neuen Folgen insbesondere qualitativ als auch erzählerisch einen anderen Weg. Und dennoch lässt auch Staffel 2 in einigen Aspekten noch Wünsche offen.
In zwei Jahren vergisst man erstaunlich viel. Ich persönlich habe mir die erste Staffel von The Witcher im vergangenen Sommer noch einmal angeschaut, um dann auch gut auf die zweite vorbereitet zu sein. Sicherlich hat es auch geholfen, dass der Anime The Witcher: Nightmare of the Wolf als Brücke zwischen den beiden Staffeln diente, wie wir in unserem Beitrag erläuterten.
Wenn du so wie ich noch einmal einen kurzen Refresh brauchst, was in Staffel 1 grob geschehen ist und wie das Ganze von Netflix umgesetzt wurde, empfehle ich dir unseren Artikel Netflix und The Witcher: Ein schmaler Grat zwischen episch und trashig. Wie auch damals werden wir in dem folgenden Review auf Spoiler zur Handlung verzichten.
Bereits die erste Folge der leider insgesamt nur acht Folgen umfassenden zweiten Staffel von The Witcher bestätigt die Verbesserung dessen, was mich an Staffel 1 am meisten störte: Das Budget wurde merklich erhöht, was insbesondere in der visuellen Darstellung zum Ausdruck kommt. Vorbei sind also die Cringe-Momente, die mystische Figuren eher wie Gestalten aus dem unangefochten größten Fantasy-Epos Xena – Die Kriegerprinzessin erschienen ließen. Die Effekte wirken stimmig, stilistisch passend und fügen sich wunderbar in den düsteren Gesamttenor ein. Das gilt sowohl für die humanoiden Charaktere als auch für die magischen Bestien, denen Geralt auf seinen Streifzügen durch die Welt über den Weg läuft. Auch abseits der Computereffekte ist der visuelle Eindruck besser – die Maskenbildner und Kostüm-Designer haben gelungene Arbeit geleistet. Die Armee Nilfgaards trägt nun auch endlich sinnige Rüstungen und keinen schwarzen Hoden-Harnisch.
Erfreulich wird für viele sein, dass sich die Folgen nun erzählerisch aneinanderreihen und die Handlung einem klaren roten Faden folgt. Diejenigen, bei denen die Handlung sowieso eher hinten ansteht und die sich eher auf die optischen Eindrücke einlassen möchten, kommen in den acht Episoden sowieso voll auf ihre Kosten. The Witcher ist nach der Identitätssuche zu Beginn mit der zweiten Staffel nun definitiv erwachsen geworden und präsentiert sich in einem gefestigten visuellen Darstellungsstil. Wer sich also an die etwas unglücklichen CGI-Effekte aus diversen Folgen in der Vergangenheit erinnert, wird erfreut sein zu hören, dass in Staffel 2 alles wie aus einem Guss wirkt. Sowohl die digitalen Effekte als auch die Kostüme und Details in den Sets sind auf einem deutlich höheren Niveau und man könnte durchaus behaupten, dass The Witcher nun auf einem Augenschmaus-Niveau vonstatten geht und sich keineswegs vor einem hochqualitativen Game of Thrones verstecken muss – zumindest, was den Einsatz von Computereffekten und das allgemeine Gefühl von Wertigkeit angeht.
Ein weiterer Punkt im Bezug auf das audiovisuelle Gesamtbild, der besonders Freunde von The Witcher 3 gefallen wird, ist die deutlich spürbare Fokussierung auf Anlehnungen an die Videospiel-Reihe. An dieser Stelle sei noch einmal erwähnt, dass ich keinerlei Bezüge zu den Büchern herstellen kann und lediglich den dritten Teil samt Erweiterungen gespielt habe. Auffällig war für mich dennoch, dass sich in Staffel 2 deutlich mehr Anekdoten für Kenner der dritten Videospiel-Iteration wiederfinden. So werden beispielsweise beiläufig diverse bekannte Orte aufgegriffen – Stichwort Oxenfurt – und insbesondere die musikalische Untermalung entfaltet ihre Klänge auffällig häufig im Stil des Rollenspiels. Insbesondere bei den cineastischen Kamerafahrten oder den wieder einmal knackig inszenierten Kämpfen kommt hierbei also die volle Witcher-Stimmung auf, gerade auch deshalb, weil Henry Cavill inzwischen zu 100% mit der Rolle verwachsen zu sein scheint.
Neben der hinzugewonnenen technischen Finesse gehört für mich wie bereits erwähnt besonders die Präsentation der Geschichte zu einer der sinnvollsten Neuerungen, die die zweite Staffel von The Witcher zu bieten hat. Die erste Staffel war mit einem Wirrwarr an Zeitlinien besonders beim erstmaligen Schauen doch sehr unübersichtlich. Erst gegen Ende hin fügten sich die Puzzleteile zu einem großen Gesamtbild zusammen. Die unübliche Erzählweise trug zwar durch das Spielen mit der Unwissenheit des Zusehers zur Spannung bei, sorgte allerdings für einen schwierigeren Einstieg in die Welt von The Witcher. Staffel 2 verfolgt nun konträr dazu einen klassischeren Serien-Ansatz und erzeugt damit einen typischeren Spannungsbogen mit klareren Zielen und Geschichtssträngen.
Von der serientypischeren Erzählweise profitieren auch die Charaktere. Rückkehrer aus der ersten Staffel und Neuzugänge gleichermaßen werden deutlich vielschichtiger beleuchtet, da die verschiedenen Wesenszüge der Figuren nach und nach logisch aufgebaut werden können. Natürlich bekommen wir wieder diverse wunderbar trockene Szenen mit Geralt spendiert, der sich erneut nicht scheut, auch seine Schwerter sprechen zu lassen. Yennifer und die anderen Hexen sowie der überaus beliebte Barde Rittersporn, der uns alle mit der wundervollen Ballade Toss A Coin To Your Witcher verzauberte, sind ebenfalls erneut mit von der Partie. Den größten Wandel erfährt wohl Prinzessin Cerilla, die gemeinsam mit Geralt nun in die Hexer-Festung Kaer Morhen erreicht und dort untypisch für ihren Stand lernt, mit der Klinge umzugehen. Sollte ich an dieser Stelle etwa erneut eine Verbindung zu Xena, der Kriegerprinzessin, ziehen?!
Trotzdem ist auch in der zweiten Staffel von The Witcher nicht alles in Butter. Auf Reddit erhoben sich viele Stimmen von verstörten Kennern der Buchreihe, die die Entwicklung einiger Charaktere anmahnten, passe sie doch absolut nicht in die eigentliche Handlung des Witcher-Epos. Und auch mir gefielen einige Entscheidungen und Aktionen diverser Figuren nicht, obgleich ich eben keinen Vergleich zu den Büchern herstellen kann. Aus Spoilergründen möchte ich darauf natürlich nicht weiter eingehen. Insgesamt runzelte ich an einigen Stellen zwar die Stirn, das Gesamtbild der Staffel ist dennoch recht positiv und die Charakterentwicklungen, die die Hauptfiguren vollziehen, sind im großen Ganzen zumeist nachvollziehbar. Es wäre ja sicherlich auch langweilig, wenn alle sich so verhalten würden, wie man es erwartet. Den Zorn der Buchleser verstehe ich natürlich trotzdem.
Mein Fazit zur zweiten Staffel von The Witcher:
Gut gemacht, Netflix! Meine beiden größten Kritikpunkte an der ersten Staffel der Hexer-Serie wurden behoben. Zum Einen wirken die Darstellungen deutlich ausgereifter und die praktischen und digitalen Effekte fühlen sich wertiger und damit stimmungsvoller an. Zum Anderen sorgt die einfachere Erzählweise für einen gelungenen Spannungsbogen, der die Charaktere nachvollziehbarere Abenteuer erleben lässt und mit Kontinuität mehr an den Bildschirm fesselt, als es die ersten Folgen vermochten. Viel zu oft hatte man in Staffel 1 keine Ahnung, was eigentlich passierte und in welcher Zeitebene man sich befand.
Völlig fehlerlos ist die zweite Staffel dennoch nicht. Als Zuseher hat man trotz Vorkenntnissen aus den Spielen meines Empfindens nach immer noch zu wenig ein Bild von der Welt und kann deshalb schlecht einschätzen, wie weit und gefährlich eine Reise von Stadt A nach Stadt B eigentlich ist oder wo genau sich die Truppen einer Fraktion gerade befinden. Das Ganze funktioniert besser als in Staffel 1, aber eben immer noch nicht gut genug. Ich wünsche mir für Staffel 3 daher eine klarere Präsentation der geografischen Gegebenheiten.
Zusammenfassend stellt Staffel 2 von The Witcher auf Netflix eine klare Verbesserung dar. Inzwischen hat man sich gut an die Darsteller und ihre Charaktere gewöhnt und ich freue mich durchaus auf die kommenden Abenteuer von Geralt, Ciri & natürlich Rittersporn! Es muss doch ein Zeichen sein, dass just in dem Moment, in dem ich diese Zeilen tippe, das Gesangsmeisterwerk „Toss A Coin To Your Witcher“ in der Zufallswiedegabe meiner Playlist zu starten beginnt…