Als im Februar 2021 das 25-jährige Jubiläum von Pokémon mit Events und einem Stream gefeiert werden sollte, lag die Annahme nahe, dass in diesem Rahmen auch Ankündigungen zu einem neuen Spiel erfolgen werden. Überraschend war dabei aber, dass neben den Remakes zu Pokémon Diamant und Perl mit dem altbewährten Gameplay auch das Spiel Pokémon Legends Arceus angekündigt wurde. Dessen erster Trailer offenbarte, wie das altbekannte Gameplay mit umfassenden Neuerungen vieles ändern und ein ganz anderes Spielerlebnis liefern sollte. Doch würde es gelingen, dem Gameplay einer derart etablierten und durch wenige Veränderungen geprägten Spielereihe mit Legends Arceus neue Würze zu verleihen?
Nun bevor diese Frage überhaupt beantwortet werden konnte, stand Pokémon Legends Arceus in den Monaten vor Release primär für die verwaschene und undetaillierte Grafik in der Kritik. Viele Vergleiche kritisierten, dass die Grafik schlechter sei, als die des ebenfalls für die Nintendo Switch erhältlichen The Legend of Zelda: Breath of the Wild. Und die Kritik war auch berechtigt, Legends Arceus ist definitiv kein schönes Spiel und für mich stand es nicht auf der Wunschliste. So zogen die Monate ins Land und im Januar 2022 erschien der neue Ableger der Videospiel-Reihe. Und neben diversen Memes zur schlechten Grafik machten zum Release vorallem Reviews die Runde, in denen die Änderungen am Gameplay positiv hervorgehoben wurden. Diese positiven Impressionen waren so anstecken, dass auch ich entschied, das Spiel in naher Zukunft zu testen. Leider kam ich erst im April 2022 dazu, aber eines sei hier bereits gesagt, auch ich war positiv vom neuesten Teil des Pokémon-Franchise überrascht.
Pokémon Legends Arceus (im weiteren Verlauf auch PLA abgekürzt) ist in einem ganz neuen Setting innerhalb der Pokémon-Welt angesiedelt und spielt in der Vergangenheit. Die aus Generation IV bekannte Sinnoh-Region wird erkundet, unterscheidet sich aber stark von ihrer bekannten Gegenwarts-Version und ist kaum besiedelt. Stattdessen findet der Spieler eine weite, naturbelassene Umgebung voller wilder Pokémon vor. Diese gilt es im Rahmen einer Expedition zu katalogisieren. Denn unsere Aufgabe ist es, den ersten Pokedex der Region zu erstellen. Klingt soweit ganz nach Pokémon. Dennoch versprüht das Spiel einen ganz anderen Charme, wenn man einen selbstgebauten Pokeball aus Holz wirft oder sich am Lagerfeuer statt im Pokecenter erholt.
Das Grundgerüst des Spielablaufs ist natürlich immer noch ähnlich dem bisherigen Pokémon. Gleichzeitig sind viele Aspekte anders als gewohnt. Die klassische Struktur mit linearen Routen ist passe. Stattdessen gibt es eine offene Welt mit fünf frei begehbaren Arealen. Durch Spielfortschritt und neue Möglichkeiten der Fortbewegung werden stetig neue Bereiche zugänglich. Diese neue Freiheit, letztlich zu jedem Punkt innerhalb der Areale reisen zu können, ist phänomenal. Auch wenn dies heute im Vergleich zu anderen Spielereihen nichts besonderes ist, so ist es dennoch ein riesen Sprung vom bisher bekannten klassischen linearen Gameplay. Als hätte die Spielereihe die Stützräder abgelegt. Auch die Möglichkeiten, mit Partner-Pokémon durch die Areale zu reisen sind vielfältig, wirken gut überlegt und nicht aufgesetzt.
Die Gebiete selbst unterscheiden sich alle klar voneinander im Hinblick auf die Topographie und Vegetation und integrieren dabei erfolgreich und glaubhaft Orte, die bereits im Gegenwarts-Sinnoh bereist wurden. Grafisch sieht die Spielwelt allerdings wirklich sehr verwaschen aus. Die Texturen sind matschig und überhaupt nicht detailliert. Die Fernsicht ist schlecht und die Render-Distanz ist gering. Pop-Ins werden zwar durch Effekte kaschiert aber trotzdem ist das Spiel optisch und technisch nicht gut. Interessanterweise gewöhnt man sich aber recht schnell daran, denn es macht wirklich eine Menge Spaß, die Gebiete zu erkunden und zu bereisen.
Auch das Kampfsystem, ein essenzieller Teil von Pokémon-Spielen, wurde zum ersten Mal seit langem erweitert und durchlebt die vielleicht stärkste Änderung seit bestehen des Franchise. Zwar gibt es weniger Attacken als beispielsweise in Schwert und Schild, dafür gibt es aber Techniken, wie diese ausgeführt werden. Neben dem herkömmlichen Angriff kann nun auch auf Geschwindigkeit oder Stärke gesetzt werden. So können zwei schnelle Attacken hintereinander durchgeführt werden oder aber eine stärkere Einzelattacke, nach welcher das angreifende Taschenmonster erst einmal aussetzen muss. Diese Arten von Attacken verbrauchen dabei mehr AP, sodass ihr Einsatz stets abgewogen werden muss. Da natürlich auch die Gegner auf diese Techniken zurückgreifen, muss jede Entscheidung unter Berücksichtigung gleich mehrerer zukünftiger Züge getroffen werden. Ebenfalls eine eigentlich kleine Änderung, die starken Einfluss auf das Spielgeschehen nimmt. Die Tatsache, dass Kämpfe sofort, mitten in der offenen Welt und ohne kurzen Ladebildschirm beginnen, ist dabei übrigens mit großem Abstand die positivste Neuerung.
Das Fangen von Pokémon in freier Wildbahn ist ebenfalls deutlich abgeändert und könnte kaum stärker von der ursprünglichen Ausprägung aus den 2D-Teilen abweichen. Statt im hohen Gras auf zufällige Pokémon zu treffen, kann man dieses nun nutzen, um sich an die in der Welt umherstreifenden Monster ungesehen heranzuschleichen. Die Präsentation der Pokémon in der offenen Welt ist dabei deutlich besser als in Schwert & Schild oder Let’s Go Pikachu & Evoli. Taschenmonster der gleichen Art können verschiedene Größen haben, scheu oder aggressiv reagieren, als Einzelgänger oder in Gruppen auftauchen und sich ihrer Umwelt entsprechend verhalten.
So watet die Moorkröte Glibunkel munter durch den Sumpf, während Flugpokémon im Himmel ihre Kreise ziehen. Dabei können Pokémon sowohl im Kampf als auch ohne Konflikt in der offenen Welt gefangen werden, wodurch komplett unterschiedliche Spielarten entstehen: Entweder klassisch im Kampf schwächen oder aber leise von hinten anschleichen und überraschen. Nie hat sich das Fangen besser angefühlt.
Items als wichtiger Teil des Gameplays sind weiterhin vorhanden und entsprechen nicht selten denen aus den bekannten älteren Pokémon-Teilen nur mit einem historischen Skin. Allerdings sind sie definitiv weniger bedeutsam im Kampf als vielmehr für das Agieren in der offenen Welt. Ressourcen müssen gesammelt werden um daraus beispielsweise Pokebälle zu fertigen. Zum einen ist dieses System super simpel und fast etwas zu einfach und das Sammeln von Ressourcen etwas zu eintönig, zum anderen schafft das Spiel dadurch neue unterhaltsame Tätigkeiten abseits des klassischen Kämpfens und Fangens.
Da der Platz im Beutel stark begrenzt ist, kommt dabei auch etwas RPG-Flair auf, wie man ihn aus anderen Genregrößen wie The Elder Scrolls gewohnt ist. Auch hier ist die Erkenntnis ähnlich wie bereits in den vorherigen Absätzen: Obwohl das System noch in den Kinderschuhen steckt, ist es ein großer Schritt in die richtige Richtung.
Zur Handlung möchte ich nicht viel vorwegnehmen. Sie ist weiterhin unvertont, was einfach unfassbar enttäuscht und der Immersion schadet. Die Geschichte selbst ist nicht sonderlich spannend und der Spieler wird nonstop an die Hand genommen. Jede wichtige Information muss dreimal wiederholt werden, damit der Spieler nicht auf die Idee kommt, selbst mitzudenken. Obwohl das Spiel ab zwölf Jahren freigegeben ist, richtet sich die Story in ihrer Präsentation wieder einmal eher an Vorschulkinder. Gleichwohl gibt es ein, zwei überraschende Wendungen die nicht ganz so offensichtlich sind wie die in anderen Teilen der Reihe.
Mein Fazit zu Pokémon Legends Arceus:
PLA macht vieles anders, auch wenn die Schritte, die es wagt, noch sehr zaghaft sind. Man könnte teilweise deutlich mehr riskieren, gleichwohl ist das Ergebnis unfassbar abwechslungsreich und erfrischend im Vergleich zu den bisherigen Teilen der Hauptreihe. Die offene Spielwelt und die damit zusammenhängenden Änderungen im Gameplay bereiten einfach Freude in einem Franchise, das allgemein eher stagniert. Es macht so viel Spaß, dass man über die absolut verwaschene und für das Budget ungerechtfertigt schlechte Grafik hinwegsieht.
Ich wurde 50 Stunden lang echt gut unterhalten und war selten so motiviert, den Pokedex zu vervollständigen. Die Atmosphäre des Spiels ist etwas rauer und erwachsener, was sich auch in der USK 12 Freigabe ausdrückt, und mir positiv in Erinnerung geblieben ist. Während Let’s Go Pikachu & Evoli eher Kindergartenkinder bedienen, richtet sich PLA gefühlt an Teenager und Ältere. Insgesamt wünsche ich mir ein Sequel für den Ableger, denn auch wenn viele der Neuerungen sehr zaghaft sind, so ist ein Grundgerüst vorhanden, auf dem es lohnt aufzubauen. Außerdem rate ich jedem Pokémon-Fan dringend zum Kauf von PLA. Ein immersiveres Pokémon-Abenteuer gab es noch nie.
In dieser Review wurde Version 1.1.1 betrachtet.