Fallout 76 Wastelanders: Postapokalyptischer Weltenbummel im Retro-Gewand

Fallout 76 Banner

Seit meinen ersten Ausflügen im vom verheerenden Atomkrieg zerstörten Umland Washingtons im dritten Teil der Fallout-Reihe bezeichne ich mich selbst als Fan der Rollenspiele. Bethesda übertrug die schon in The Elder Scrolls IV: Oblivion gut funktionierende Formel nahezu identisch in die Postapokalypse und konnte damit sowohl bei Kritikern als auch Spielern punkten. Auch das wenige Zeit später erschienene Fallout: New Vegas war ein ziemlicher Hit, allerdings war die Version der PlayStation 3 nahezu unspielbar und nach wenigen Stunden hatte ich genug von dem armseligen Ruckelfest. Seitdem, also seit mehr als zehn Jahren, konnte mich kein Fallout wieder von sich überzeugen. Im Free Weekend bei Steam probierte ich nun Fallout 76 aus, welches zur Veröffentlichung vernichtende Wertungen kassierte. Und überraschenderweise hatte ich richtig Spaß.

Eigentlich ließ die Ankündigung von Fallout 76 den Traum vieler Fans in Erfüllung gehen: Endlich mit seinen Kumpels zusammen das Ödland erkunden und nicht mehr auf Einzelspieler-Erlebnisse beschränkt zu sein. Dass Multiplayer nicht gleichbedeutend mit einem guten Spiel ist, mussten die Entwickler von Bethesda allerdings erst auf die harte Tour erfahren, denn beim Erscheinen von Fallout 76 im Oktober 2018 hagelte es negative Reaktionen von allen Seiten. Eine instabile Serverarchitektur, selbst für Bethesda-Verhältnisse viel zu viele Bugs und die leblos wirkende Spielwelt waren damals der Grund, warum ich mich gar nicht weiter mit dem Spiel beschäftigte und es als weiteren Hammerschlag auf dem Sarg der überalterten Engine, an der sich Bethesda so vehement festzuklammern versucht, abtat.

Das Free Weekend ließ mich nun in eine Welt eintauchen, die dank dem kürzlich erschienenen Wastelanders-Update einige der größten Schwächen ausbügelt und dafür sorgt, dass man Fallout 76 unter gewissen Voraussetzungen nicht völlig abschreiben sollte.

Fallout 76 ist hauptsächlich ein Teil für diejenigen, die mit dem grundlegenden Szenario bereits vertraut sind und keine lange Einweisung benötigen. Dementsprechend flott wird das Intro in Vault 76, dem namensgebenden Schutzbunker, abgehandelt. Nach der Charaktererstellung verbringt man keine zehn Minuten in den bereits völlig menschenleeren Gängen, bevor sich das für die Reihe typische zahnradartige Tor der Anlage öffnet und man nach draußen gelassen wird. Der nun folgende wichtige erste Blick über die Spielwelt ist deutlich imposanter, als ich es noch aus Fallout 3 und New Vegas gewohnt bin. Die Vault liegt an einem Berg und das Plateau vor dem Eingang ermöglicht es dem Spieler, direkt ein herbstliches Landschaftspanorama mit bewaldeten Hügeln und Tälern zu blicken. Auch werden hierbei erste interessante Orte ersichtlich, die ich als Freund von offenen Spielwelt natürlich sofort erkunden will.

Einer groben Hauptaufgabe folgend lief ich also den sich den Berg herunterschlängelnden Weg hinab und war dabei erstaunt, wie lebendig die Welt im Vergleich zu vorherigen Ablegern doch wirkte. Vom Ödland kann hier eigentlich keine Rede sein, der Natur geht es in Fallout 76 prächtig. Erst an den von Menschen geschaffenen und längst verlassenen Orten merkt man, dass man sich tatsächlich in einer Zeit nach dem Atomkrieg befindet. Und auch die zu angriffslustigen Killern mutierte Tierwelt lässt darauf schließen, dass der Trip durch West Virginia kein Wellnessurlaub wird. Von meiner Kräutersammelwut tiefer ins Unterholz gelockt und schon weitab des Weges zum eigentlich Questziel fand ich mich plötzlich in einem MMO-artigen Event wieder, welches im Handumdrehen mehrere Spieler anlockte. Nachdem wir gemeinsam einen widerspenstigen Insektenschwarm an einem Leuchtturm erledigt hatten, trennten sich unsere Wege recht schnell wieder und ich machte mich wieder alleine auf, Häuser nach Nützlichem zu durchwühlen und in Audiologs mehr über ehemalige Bewohner der Siedlungen zu erfahren.

Letztere werden schnell recht eintönig – das erkannten nach den negativen Meinungen der ersten Spieler wohl nun auch die Entwickler und sorgten dafür, dass Fallout 76 wieder ein wenig mehr an klassische Teile der Reihe erinnert und eine große Stärke eben dieser aufleben lässt. Ja, mit Wastelanders gibt es nun endlich NPCs in der Welt, die dadurch nun deutlich interessantere Geschichten parat hält, als das vorher noch der Fall war. Hätte ich in der kurzen Zeit, die ich Fallout 76 ausprobieren konnte, keine computergesteuerten Menschen getroffen und mich stattdessen nur mit alten Tonbandaufnahmen und Robotern zufrieden geben müssen, wäre mir wohl schon nach einer knappen Stunde langweilig gewesen. Hier wurde also definitiv an der richtigen Stelle Hand angelegt.

Fallout 76 Vault

Obwohl Fallout 76 im Kern als Mehrspieler-Abenteuer konzipiert wurde, hatte ich auch als Solist genug zu tun und fühlte mich grundsätzlich wie in einem klassischen Fallout. Die wenigen Aufeinandertreffen mit anderen Spielern waren dann umso interessanter – besonders, weil ich anfangs nicht erwartete, dass sich wirklich jeder Spieler im Laufe des Wochenendes mir gegenüber freundlich verhalten würde. Mit Emojis beglückwünschte man sich gegenseitig nach erfolgreich gemeisterter Herausforderung und von Gegnern verseuchte Gegenden wurden gemeinsam gesäubert und gelootet. Hier kommt allen Spielern zugute, dass die Beute getrennt ist und somit jeder an gute Gegenstände gelangen kann. Wegsammeln kann man anderen Ödland-Durchstreifern also nichts, was einerseits das Zusammenspielen fördert, andererseits aber auch zu einem gewissen Grad den Konkurrenzkampf und den Survival-Aspekt zerstört.

Gänzlich frei von Sorgen stromert man deshalb allerdings trotzdem nicht durch die Welt. Denn was in Fallout 3 und New Vegas noch eine optional hinzuschaltbare Funktion war, ist in Fallout 76 nun Pflicht für alle: Die Spielfigur benötigt wie mittlerweile typisch im Survival-Genre regelmäßig Nahrung und Wasser. Dass beides im Umland der Vaults, wo nicht nur die Sonne freudig strahlt, zum Teil recht schwierig aufzutreiben ist, sollte klar sein. Strahlenfreie Getränke und Mahlzeiten sind ein sehr rares Gut und ich war froh, als ich auf meinen Spaziergängen mithilfe einer kleinen Tutorial-Quest herausgefunden habe, wie ich eigenständig möglichst reines Wasser herstellen konnte. Mein gesammeltes Wissen konnte ich sogleich in der eigenen Basis anwenden  – neben umfangreichen Crafting von Waffen, Rüstungen und Verbrauchsgegenständen ist auch das für viele schon aus Fallout 4 bekannte Errichten eines eigenen Unterschlupfes in 76 möglich.

Bekannt dürfte vielen auch das technische Grundgerüst des Spiels vorkommen, welches in seinen Ursprüngen immer noch auf der erstmals 2002 in The Elder Scrolls III: Morrowind eingesetzten Gamebryo-Engine aufbaut und dementsprechend alles andere als aktuell wirkt. Zwar können die dichte Vegetation und schicke Sonnenstrahlen zwischen den Blättern und Zweigen durchaus hübsche Szenerien erzeugen, insgesamt wirkt Fallout 76 aber einfach nur veraltet. Angefangen bei den sich immer noch sehr mittelmäßig anfühlenden Waffen über die nervigen Ladezeiten beim Betreten von Gebäuden bis hin zu den steifen Animationen der Charaktere und den oftmals sehr matschigen Texturen – selbst vor einer Dekade gab es schon Spiele, die in allen Bereichen stärker auftrumpfen konnten. Nebenher spiele ich seit einigen Monaten Red Dead Redemption 2, welches im visuellen Vergleich einen Unterschied wie Tag und Nacht liefert. Bei Fallout 76 hat eben nicht nur die Gestaltung der Spielwelt mit ihren Anlehnungen an die 50er und 60er Jahre einen Retro-Touch abbekommen. Zeitgemäß geht jedenfalls anders.

Fallout 76 Brücke

Mein Ersteindruck zu Fallout 76:

Die ersten Stunden im Ödland von West Virginia haben mich gut unterhalten. Positiv fällt auf, dass Fallout 76 nicht mit einer ellenlangen Einleitung aufhält – ich erinnere an dieser Stelle noch einmal an Fallout 3, in welchem man als Baby ins Spiel startet – und man stattdessen bereits nach wenigen Minuten sein Abenteuer in der strahlend charmanten Welt voller interessanter Orte zum Erkunden beginnen kann. Doch obwohl die Quantität an Objekten, vor allem Pflanzen und Bodenbewuchs, im Vergleich zu vorherigen Teilen der Reihe stark zugenommen hat, fällt schon nach wenigen Schritten auf, dass Fallout 76 auf der technischen Seite weit entfernt von einem aktuellen Spiel liegt. Dinge, die mich schon 2011 in Skyrim gestört haben, wie die nicht ohne Ladeunterbrechung betretbaren Häuser, sind noch immer im Spiel und mittlerweile einfach nicht mehr zeitgenössisch.

Auch in Sachen Gameplay richtet sich Fallout 76 hauptsächlich an diejenigen, die mit Fallout 4 ihren Spaß hatten, sich nicht von der damals schon veralteten Darstellung haben abbringen lassen und das postapokalypische Ödland endlich gemeinsam mit Freunden erkunden wollen.  Fans der bisherigen Teile, die zur Veröffentlichung von Fallout 76 mit dem Spiel nicht warm geworden sind, können noch einmal den Neustart riskieren. Mit Wastelanders ist das Spiel nun endlich in einem gesunden Zustand, was auch die größtenteils positiven Steam-Nutzerreviews widerspiegeln. Wenn man die technische Seite so gut es eben geht ausblendet, ist Fallout 76 vor allem für erkundungsfreudige Spieler, die sich gerne in großen offenen Welten verlieren, einen vorsichtigen Blick wert.