Wenn man schwierige Hürden meistert, bleibt der Moment des Sieges in Erinnerung. Dies zählt nicht nur für hochgesteckte Ziele abseits der Videospiele, sondern auch für ebendiese selbst. Überrascht ein Spiel nicht mit knackigen Momenten und plätschert stattdessen fade dahin, erinnert man sich schon kurz nach dem Ende kaum noch an bezeichnende Momente oder erreicht das Finale gar nicht erst. Andererseits sorgt ein zu hoher Schwierigkeitsgrad für Frustration, Wut und im schlimmsten Fall zum Abbruch. Wie schwer darf ein Spiel sein, um den Spieler nicht zu verlieren?
Seit Jahren schon wünsche ich mir eine Fortsetzung von The Witness oder zumindest ein Spiel, welches diesem ähnelt. Viele Monate nach der Veröffentlichung unseres ersten Beitrags zum Rätselabenteuer und nahezu zwei Jahre nachdem ich es zum ersten Mal gespielt habe, verlor ich noch immer den einen oder anderen Gedanken an das Spiel – und das hat sich bis heute nicht geändert. Im Beitrag „Warum The Witness durch Hängenbleiben bei mir hängen geblieben ist“ erläuterte ich 2019, wie ein gut ausbalancierter Schwierigkeitsgrad dafür sorgt, dass ein Spiel in Erinnerung bleibt.
Corepunk, ein MMO aus der isometrischen Perspektive, schenke ich schon eine ganze Weile meine Aufmerksamkeit. Vor wenigen Tagen flog recht unerwartet eine Einladung zur Alpha in mein Postfach. Schnell merkte ich, dass aller Anfang schwerer sein könnte, als mir und vielen anderen Spielern lieb ist.
Kennt noch jemand Metin 2? Mit diesem F2P-MMO startete ich damals in die Welt der Onlinerollenspiele. Später ging es dann nach Azeroth in die Welt von Warcraft, in welcher ich viele unterhaltsame Monate und Jahre verbrachte. Damals – kurz vor der Veröffentlichung der Erweiterung Wrath of the Lich King – war World of Warcraft ein anderes Spiel, als es das heute ist. Mit WoW Classic brachte Blizzard das alte Gefühl zurück und erinnerte uns an längst vergangene Tage. Der größte Unterschied zum aktuellen Zustand von WoW: Der Spieler bekommt weniger Hilfen, viele Elemente erfordern mehr Aufwand und schlussendlich sorgt der höhere Schwierigkeitsgrad dafür, dass sich Belohnungen auch wirklich wie solche anfühlen. Unfair oder nervig ist das „härtere“ WoW aber an keinem Punkt.
Natürlich ist nicht jedes Spiel inzwischen zur Abendkost für müde Casual-Spieler verkommen. Die Erfolge vom Souls-Genre sprechen eine deutliche Sprache. Im Allgemeinen lässt sich allerdings feststellen, das der durchschnittliche Spieler im durchschnittlichen Spiel nicht mehr so viele Hürden überwinden möchte, wie das vielleicht früher der Fall war. Die Frustresistenz ist geringer geworden. Gefällt ein Spiel nicht, wird einfach das nächste gestartet. Die Auswahl ist gigantisch, die Möglichkeiten des schnellen Ausprobierens dank Game Pass und Co. nahezu unerschöpflich. Nichtsdestotrotz wagt sich Corepunk nun wieder zurück auf die alten Pfade der MMORPGs und spaltet damit die Gemüter. Auch mir, der eine gute Challenge selten ablehnt, geht die Design-Philosophie ein wenig zu weit. Nach anfänglicher Freude über die gelungene Anmutung der Welt und den einladenden Grafikstil fiel schnell auf, dass Spielspaß wohl nicht im Mittelpunkt stehen wird.
Der erste Questgeber schickt den Spieler – mal mehr, mal weniger gut mithilfe von KI vertont – in eine nahegelegene Siedlung. Entlang des sich durch einen dichten Wald schlängelnden Pfades hört man Uhus rufen, Grillen zirpen und am kleinen See mit Angelsteg quaken Frösche und kleine Wellen schwappen klangvoll ans Ufer. Gepaart mit dem sehr schön anzusehenden Artstyle wirkt das alles sehr atmosphärisch! Hilfreich ist, dass sich bei der Annäherung ans Ziel der Questgeber noch einmal mit einigen Sätzen meldet und man so den Hinweis bekommt, das ein Ziel nahe ist. Dies ist leider aber auch die einzige Hilfestellung im Spiel. Ich benötige auf gar keinen Fall klare Wegweiser auf der Karte, aber dass noch nicht einmal die Questtexte oder der Dialog eine grobe Laufrichtung vorgeben, wirkt einfach falsch. Planlose Sucherei und frustrierendes blindes Erlaufen der Umgebung sind die Folge.
Hat man einige Aufträge im besagten Dörfchen eingesammelt, begegnet man spätestens jetzt auf den weitläufigen Weizenfeldern rundum den ersten Gegnern. Aufgrund der isometrischen Kamera ließe sich vermuten, man bekäme es mit Kämpfen im Stil von Diablo oder Lost Ark zu tun. Stattdessen wird in Corepunk eher auf taktische Duelle mit wenigen Widersachern gesetzt, was deutlich mehr an klassische MMOs erinnert. Das Problem: Die Spielfigur ist dermaßen schwach, dass selbst zwei Gegner schon zum Problem werden können. Die überaus langen Cooldowns und die behäbige Bewegungsgeschwindigkeit lassen das Kampfsystem äußerst träge wirken. Selbst Scharmützel mit den einfachsten Gegnern arten so in Geduldsspielen aus, in denen man den Kontrahenten so lange umkreist, bis Fähigkeiten wieder eingesetzt werden können. Meiner Meinung nach sollten direkt auf Level 1 mehr Fähigkeiten zur Verfügung stehen. Eine Ausweichrolle könnte ebenfalls für mehr Dynamik sorgen.
Ist ein Kampf überstanden, folgt sogleich das nächste Ärgernis. Denn Corepunk bietet aktuell keinerlei automatische Lebensregeneration. Stattdessen muss man sich kiloweise Nahrungsmittel einverleiben. Hat man keine dabei, kehrt man zur Siedlung zurück und setzt sich an ein Lagerfeuer. Hier werden sowohl Lebens- als auch Manapunkte langsam wieder aufgefüllt. Der Gameplay-Loop beschränkt sich zu Beginn also auf das Töten weniger Gegner mit der Hoffnung auf einen niedrigprozentigen Questitem-Drop und das andauernde zurücklaufen zum Regenerationspunkt. So wundervoll die Welt auch aussehen mag, wenn ich zum fünften Mal über denselben Acker marschiere, suche ich neben dem schnellsten Weg zum Lagerfeuer auch den Spaß vergeblich.
„Es ist ein schmaler Grat zwischen gesunder Challenge und abschreckender Frustration.“
Und so bleibt nach etlichen Jahren Wartezeit auf Corepunk leider ein eher negativer Ersteindruck zurück. In Sachen Gameplay konnte mich das Spiel gar nicht abholen. Da helfen auch der tolle visuelle Stil und das gelungene Sounddesign wenig. Schlussendlich möchte ich unterhalten werden. Und das wurde ich bei Corepunk bisher nur in ganz wenigen Augenblicken.
Ich habe wirklich Lust, die komplett offene Spielwelt zu erkunden – diese fühlt sich einfach toll an und wirkt mit ihrem Steampunk-/Cyberpunk-/Mittelalter-Mischmasch neu, unverbraucht und wirklich interessant! Anders als in anderen Top-Down-Games kann diese auch sehr frei erkundet werden, künstliche oder unsichtbare Grenzen sind mir bisher gar nicht begegnet. Wer in den eingangs erwähnten See springen möchte, kann das tun – denn ja, die Charaktere können sogar springen! Im Moment macht es das Spiel sich selbst schwerer als nötig, auch wirklich spielenswert zu sein. Denn sowohl das Questing als auch die Kämpfe – beides sehr wichtige Bestandteile eines gelungenen Onlinerollenspiels – funktionieren nicht oder nur sehr eingeschränkt für eine bestimmte Zielgruppe von Selbstgeißelungs-Fetischisten.
Mein Ersteindruck zu Corepunk:
Im Optimalfall wird ein MMORPG lange gespielt. Die Grundvoraussetzung für anhaltende Bindung von Spielern ist recht simpel: Spaß. Wenn ich mich gut unterhalten fühle, möchte ich mehr. Wenn ich hingegen schnell das Gefühl bekomme, mich durch die Inhalte zu quälen, habe ich schnell keine Lust mehr und suche mir eine andere Beschäftigung.
Ein fordernder Schwierigkeitsgrad kann dabei helfen, den Spieler mit kniffligen Passagen und anschließender Belohnung zu befriedigen und für Motivation zu sorgen. Bei Corepunk wurden allerdings unnötig nervige Designentscheidungen in Sachen Quests, Kämpfe und Regeneration getroffen, die das Spiel aktuell alles andere als unterhaltsam machen. Hier wurde Herausforderung mit Belastung verwechselt.
Wenn ein Videospiel mich nicht zu unterhalten vermag, möchte ich es nicht spielen. Es ist ein schmaler Grat zwischen gesunder Challenge und abschreckender Frustration. Corepunk fällt aktuell nahezu komplett in letztere Kategorie und ich hoffe sehr, dass sich das bis zur Veröffentlichung noch ändert. Bitte, Artifical Core, nutzt das Potential von Corepunk!