Wo die Genialität von Baldur’s Gate 3 sich selbst im Weg steht

Baldurs Gate 3 Banner

Dass Baldur’s Gate 3 ein fantastisches Videospiel ist, steht außer Frage. Sowohl die Wertungen der großen Redaktionen als auch die umfangreichen Meinungen der Spieler zeichnen ein eindeutiges Bild: Der erste Serienteil von Larian Studios, die zuvor mit Divinity: Original Sin bewiesen haben, tolle CRPGs kreieren zu können, ist ein würdiger Nachfolger der altehrwürdigen Reihe und obendrein auch noch eines der besten Rollenspiele aller Zeiten! Auch ich habe in den vergangenen Monaten viele unterhaltsame Stunden erleben können und kürzlich meinen ersten Playthrough beendet. Aus welchen Gründen auch für mich Baldur’s Gate 3 ein fabelhaftes Spiel ist und warum ebendiese Aspekte dem Spiel ab und zu selbst im Weg stehen, möchte ich in den folgenden Zeilen erörtern.

Erste Berührungspunkte mit klassischen RPGs hatte ich vor Baldur’s Gate 3 schon mit Pillars of Eternity, Pathfinder: Kingmaker und Divinity: Original Sin 1 und 2. Jedes dieser Spiele fand ich zu Beginn äußerst faszinierend und unterhaltsam, doch alle verloren mich irgendwann im Laufe ihrer umfänglichen Spielzeit. Dementsprechend hatte ich bei Baldur’s Gate 3 auch Bedenken, ob ich es diesmal bis zum Abspann schaffen würde. Wie sich herausstellte, konnte das Spiel meine Motivation von der ersten bis zur letzten Minute aufrecht erhalten, was an einigen wenigen Punkten liegt, die es einfach immens besser macht, als die Titel, die ich als Vergleich heranziehen kann.

Schon bei der Charaktererstellung fällt auf, dass Baldur’s Gate 3 deutlich komplexer ist, als man das von den meisten großen Rollenspielen gewohnt ist. Die Unmengen an Völkern, Klassen, Unterklassen, Eigenschaften und Fähigkeiten kann man als Neuling kaum überblicken. Das muss man aber auch gar nicht, solange man sich damit zufrieden gibt, nicht die absolut perfekten Kombinationen zu spielen. Alternativ lassen sich auch vorgefertigte Charaktere wählen, um den Einstieg etwas zu beschleunigen. An dieser Stelle würde ich aber immer zur Erstellung einer eigenen Figur raten, denn die fertigen Avatare sind nicht etwa nur Templates für den Spieler, sie tauchen auch im Spiel auf und können sich einem als Mitstreiter anschließen.

Und damit kommen wir auch schon zum Herzstück von Baldur’s Gate 3 und meinem absoluten Highlight des Spiels: Die Vielschichtigkeit der Begleiter und ihre Anteilnahme am Geschehen in Form von Dialogen. Denn so, wie auch unsere Hauptfigur etliche Eigenschaften und Wesenszüge hat, die wir auf rollenspielerische Art mal mehr und mal weniger direkt festlegen, so haben auch die anderen Charaktere im Spiel ganz eigene Ziele, auf die sie hinarbeiten und Meinungen, wie bestimmte Situationen zu lösen sind. Besonders dem direkten Gespräch mit einzelnen Personen wurde große Aufmerksamkeit bei der Entwicklung geschenkt – die Dialoge wurden absolut fantastisch vertont und mit abwechslungsreichen Animationen, Kameraeinstellungen und Effekten versehen. Die detaillierten Gesichter bringen jede Emotion passend zur Geltung, jede Figur wurde filigran und filmreif ausgestaltet. Viele Dialoge in Baldur’s Gate 3 fühlen sich an wie interaktive Zwischensequenzen, wie sie in anderen Spielen bestenfalls ein paarmal vorkommen. Eine wirklich grandiose Leistung!

Sowohl die Qualität als auch die Quantität der Dialoge sind schlicht und einfach großartig. Meines Wissens nach gab es bisher kein Videospiel, welches diesen Aspekt derart gelungen umsetzt. Einzig in Sachen Dynamik hat Red Dead Redemption 2 vielleicht noch die Nase vorn – dort gibt es viele Gespräche, die während des aktiven Gameplays ablaufen. In Baldur’s Gate 3 sind diese zumeist klar vom restlichen Gameplay getrennt. Letzteres hat allerdings auch einen klaren Grund: Die Gespräche sind höchst interaktiv! Wie es sich für ein gutes Rollenspiel gehört, kann man je nach Ausrichtung des Charakters auf verschiedene Weisen antworten und oftmals sogar seine besonderen Eigenschaften nutzen, um bestimmte Situationen auf auf sehr spezielle Art und Weise zu lösen. Spielt man beispielsweise eine redegewandte Bardin, so kann man sich hin und wieder mit blumigen Worten herauswinden, die anderweitig womöglich zu einem Kampf geführt hätten. Was eine der absoluten Stärken von Baldur’s Gate 3 ist, wird dem Spiel nun leider auch manchmal zum Verhängnis – zeigt es doch allzu deutlich, wo seine Grenzen liegen.

Baldurs Gate 3 Jaheira
Exzellente Animationen, perfekte Sprecher: Gespräche in Baldur’s Gate 3 sind absolut fantastisch!

Das große Problem mit spielerischer Freiheit ist, dass man sie nur sehr schwer ohne negativen Eindruck zu hinterlassen wieder vorenthalten kann, wenn man sie einmal gegeben hat. Erkannt haben das auch die Entwickler von Baldur’s Gate 3, was anhand eines Interviews deutlich wird. Dort wird erläutert, dass das Team durch die Fähigkeit „Mit Toten sprechen“ nun vor der Herausforderung stand, wie man nun nicht plötzlich unzählige zusätzliche Dialoge für alle möglichen Leichen im Spiel erstellen muss. Umgangen wurde das Ganze, indem viele Leichen einfach geköpft vorzufinden sind – und wer keinen Kopf hat, kann auch nicht reden. Zudem sprechen Feinde, die man selber zum Schweigen gebracht hat, nicht gerne mit ihrem Mörder. Derart elegante Lösungen findet man sicherlich noch an anderen Stellen, doch beim wohl wichtigsten Aspekt – den umfangreichen Dialogen – hat man leider keine Lösung gefunden.

Dadurch entsteht nun genau die Situation, die die Entwickler vermeiden wollten: Einerseits findet man im Spiel Momente vor, in denen auf eine Situation mit einer Vielzahl von möglichen Antworten reagiert werden kann. So kann man dem Gegenüber zum Beispiel mit einem Wurf auf die „Täuschen“-Fertigkeit vorgaukeln, man sei für eine offizielle Inspektion hier und müsse alle Kisten durchsuchen. Alternativ besticht man die Wache, bedroht sie mit seiner Stärke oder lenkt sie mit einem ausgefuchstem bardischem Liedchen ab. In solchen Situationen kommt nicht nur die persönliche Interpretation der eigenen Figur zur Geltung und lässt sich umsetzen, es wird auch von den vielen Fähigkeiten und Würfel-Möglichkeiten des „Dungeons & Dragons“-Universums Gebrauch gemacht. Im Optimalfall sollte ja nun eigentlich jede Konversation, jede noch so kleine Begegnung dementsprechend viele Möglichkeiten bieten, oder? Natürlich ist dem nicht so. Leider bedeutet dies nun, dass man manchmal auf Dialoge trifft, in denen kaum etwas vom Rollenspiel-Aspekt zu finden ist. Oftmals sind das dann auch noch die Begegnungen, die unweigerlich in Kämpfen enden. Und wenn man sich seiner Freiheit beraubt fühlt, macht der Kampf ungemein wenig Spaß.

Unter anderem aufgrund dieser für meinen Geschmack zu oft forcierten Kämpfe, hatten wir in unserem Playthrough nach einer Weile die Lust an den Scharmützeln etwas verloren. Zwar bieten auch die Kämpfe sehr viel Raum zum Experimentieren und Austesten der Möglichkeiten und Fähigkeiten, man startet aber eben mit einem faden Beigeschmack, wenn man im vorangegangenen Dialog plötzlich gar keine Chance mehr hatte, mit dem Gegenüber zu sprechen, obwohl es in vielen anderen Situationen doch möglich war. Unsere Lösung, um das Problem ein wenig abzuschwächen? Wir haben das Spiel nach ca. 1/3 auf den einfachsten Schwierigkeitsgrad herabgestellt. Dadurch werden die Kämpfe bedeutend einfacher, sodass man nahezu alle beim ersten Versuch schafft, wenn man sich nicht zu unfähig anstellt. Denn komplett blind darf man auch im einfachsten Modus nicht sein – es gilt weiterhin, die Umgebung clever zu nutzen und die Stärken und Schwächen der einzelnen Gruppenmitglieder geschickt einzusetzen. Wenn einem Baldur’s Gate 3 ab einem gewissen Punkt zu träge und langatmig vorkommt, kann ich wirklich nur empfehlen, den Schwierigkeitsgrad zu reduzieren. In unserem Fall hat sich der Spaßfaktor danach wieder immens erhöht!

Baldurs Gate 3 Centaur
Die rundenbasierten Kämpfe von Baldur’s Gate 3 ermöglichen verständliche Komplexität!

Mein Fazit zu Baldur’s Gate 3:

Wer auf der Suche nach einem tiefgängigen Rollenspiel ist, welches sich diesen Namen auch redlich verdient, ist bei Baldur’s Gate 3 genau richtig aufgehoben. Derart glaubwürdige Figuren, die in eine spannende und verzweigte Geschichte eingebettet werden, habe ich bisher nur sehr selten erlebt!

Entscheidungen, die sich auf das Schicksal der Welt und der Figuren auswirken, fügen sich wunderbar in das ohnehin schon komplexe auf DnD basierende System voller Fähigkeitenwürfe, Skillchecks und Möglichkeiten ein. Es fällt dann umso mehr auf, wenn diese Freiheiten plötzlich vorenthalten werden und Situationen unweigerlich nur einen Ausgang haben. Klar, wir haben es hier immerhin noch mit einem Spiel zu tun und nicht mit einem völlig dynamischen Erlebnis, wie es etwa physische Pen-and-Paper-Runden sind. Man wünscht sich dennoch an einigen Stellen, mehr Wahlmöglichkeiten zu haben.

Baldur’s Gate 3 schaffte es im Vergleich zu Divinity: Original Sin 2, welches ebenfalls ein grundsolides Spiel war, mich bis zum Ende zu fesseln. Verantwortlich für die längere Bindung ist insbesondere der Ausbau der Charaktere und Dialoge – letztere sind, ich kann es nicht oft genug betonen, wunderbar in Szene gesetzt und gehören definitiv zu den besten, die es aktuell zu finden gibt. Und die zusätzliche Freiheit, die ich mir in den Konversationen wünsche, ist durch den aktuellen Aufstieg von AI möglicherweise ja auch in greifbarer Nähe. Ob es in Baldur’s Gate 4 dann schon so weit sein wird?