Als ich erfuhr, dass Pocketwatch Games, die Entwickler von Monaco: What’s Yours is Mine ein neues Spiel auf den Markt bringen wollten, war mir von vornherein klar: Das muss ich spielen! Mit hübschem Pixel-Look und einem ziemlich interessanten Setting versucht Tooth and Tail, das Genre der Echtzeitstrategie umzukrempeln und wirft erst einmal viele bekannte Mechaniken über Bord.
Eine Revolution hat begonnen: In der Welt von Tooth and Tail haben es die Tiere satt, auf saftiges Fleisch zu verzichten. Verschiedene Gruppierungen haben sich zusammengefunden und kämpfen um das Recht, endlich wie Könige speisen zu können und nicht mehr hungern zu müssen. Eine kunterbunte Märchenwelt ist Tooth and Tail beileibe nicht. Wenn die Anführer der Armeen ihre Fahnen im Wind schwenken und Truppen befehligen, herrscht Krieg ohne Gnade. Durch viele kleine Anspielungen und eine Sprache, die frappierend an die russische erinnert, fühlt man sich nicht selten in die Zeit der Februar- und Oktoberrevolution im Jahr 1917 zurückversetzt.
Zur Handlung möchten wir an dieser Stelle gar nicht mehr verlieren und direkt zum Gameplay übergehen, welches bis auf ein paar Ausnahmen im Einzel- und Mehrspieler-Modus im Kern ziemlich identisch ist. Statt, wie in der Strategie normalerweise üblich, mit der Maus Einheiten direkt zu befehligen, nebenher Gebäude in der Basis hochzuziehen und über Makros schnell bestimmte Objekte anzuwählen, befehligen wir ausschließlich den Anführer unserer Streitkräfte. Wir sind also nicht nur entfernter Beobachter sondern bewegen uns aktiv auf dem Schlachtfeld.
Selber Angreifen kann unser ausschließlich mit einer Fahne bewaffneter Kommandant nicht. In der Anfangsphase der rund fünf bis zehn Minuten dauernden Partien sind wir also erst einmal als Erkunder unterwegs und decken die immer zufällig generierten Karten auf und finden heraus, wo der Gegner seine erste Mühle hat. Diese dienen als Nahrungsproduzenten und beherbergen bis zu acht Felder, welche von Schweinen bewirtschaftet werden können. Nahrung ist der einzige Rohstoff in Tooth and Tail und wird somit sowohl für das Ausbilden neuer Truppen als auch zum Bauen neuer Mühlen und anderer Verteidigungsgebäude genutzt.
Sobald man ein Ausbildungsgebäude für einen Truppentyp fertiggestellt hat, beginnt die Produktion automatisch. Vorausgesetzt, man hat genug Nahrung. Die vielseitigen Einheiten sind auf verschiedene Ränge aufgeteilt, was sich neben ihrer reinen Kampfstärke und dem Preis auch an der Anzahl der pro Gebäude ausgebildeten Kämpfern erkennen lässt. Von den schwachen aber ziemlich flinken Echsen etwa strömen bis zu drei aus einem Gebäude, für die mit einer Gatling-Kanone bewaffneten Dachse muss jeweils eine eigene Produktionsstätte errichtet werden.
Ist die Armee bereit, rufen wir entweder alle Einheiten oder nur bestimmte Truppentypen per Befehl zu uns. Trotz der indirekten Steuerung unserer Armee können wir gezielt Befehle geben. Mit einem einfachen Klick etwa bewegen sich unsere bis an die Zähne bewaffneten Tierchen zu unserer Position und greifen auf dem Weg alles an, was einer gegnerischen Fraktion angehört. Stehen wir neben einem Gebäude oder Feind und schwenken das Fähnchen, lenken wir unsere ganze Feuerkraft darauf. Wenn alles gut läuft, zerlegen wir nach wenigen Minuten die letzte feindliche Basis und haben gesiegt.
So einfach Tooth and Tail anfangs auch klingen mag, hat man es hier mit einem ziemlich harten Strategie-Brocken zu tun. Durch die kurzen Runden können Fehlentscheidungen schon in wenigen Sekunden zur sicheren Niederlage führen. Greife ich mit wenigen schwachen Einheiten direkt zu Beginn die Felder des Gegners an und schwäche so seine Wirtschaft oder setze ich lieber auf stärkere Einheiten, die allerdings lange ausgebildet werden müssen und deutlich mehr Kosten verursachen?
Entscheidungen müssen schnell getroffen werden und schnelles Umdenken ist Pflicht. Wer den Gegner nicht im Auge behält und nur in der eigenen Basis auf die Ausbildung der Truppen wartet, kann schnell überrascht werden und verliert im Handumdrehen. Stillstand ist nicht vorteilhaft und die eigene Spielfigur sollte stets in Bewegung sein, um den Gegner auszukundschaften, neue Bauplätze zu suchen und die Feinheiten der Karten aufzudecken. Denn gute Stellungen hinter Wasserbecken, die die Fußtruppen des Kontrahenten erst mühselig und langsam durchqueren müssen, und erhöhte Positionen können das Match auch maßgeblich beeinflussen.
Wer sich nur mit defensiven Einheiten und Gebäuden bei seiner ersten Mühle einigelt, wird schnell sein blaues Wunder erleben. Denn die Felder verlieren nach und nach an Produktionskraft und irgendwann sind sie ganz und gar verbraucht. Expansion oder schnelle Angriffe, um den Gegner frühzeitig zu besiegen, sind also ein Muss. Verfrühte Attacken können ebenso fatal sein, wenn ein Großteil der eigenen Armee dabei das Zeitliche segnet und die erneute Ausbildung immense Ressourcen verzehrt.
In ausweglosen Situationen kann es auch sinnvoll sein, die eigene Strategie zu verändern, Gebäude zu verkaufen und auf andere Tiere zu setzen. Wenn der Gegner beispielsweise den Boden mit Mienen überzieht, kann man mit fliegenden Einheiten einfach über diese hinwegschweben und kommt unversehrt ans Ziel. Auch im Einzelspieler gilt häufig: Wenn eine Mission unmöglich scheint, sollte man eine radikal andere Vorgehensweise ausprobieren.
Doch auch das führt leider nicht immer zum Erfolg. Nicht selten habe ich manche Missionen über zehn Mal verloren und wusste, als ich sie letztendlich doch geschafft habe, nicht wirklich, was ich denn nun anders gemacht habe. Tooth and Tail ist dadurch auch eines der wenigen Spiele, für welches ich die Community um Rat bat. Glücklicherweise tummeln sich viele ambitionierte Helfer auf dem offiziellen Discord-Server von Pocketwatch Games. Kurz nach der Veröffentlichung wurden bereits einige Missionen vereinfacht und sind nun etwas leichter zu gewinnen. Trotzdem sollte man sich auf ein sehr schweres Strategiespiel einstellen, welches kaum Fehler verzeiht und wo in manchen hektischen Situationen auch der Glücksfaktor eine gewisse Rolle spielt.
Das gilt auch für die Mehrspieler-Duelle, dem Herzstück des Spiels. Wer faire Karten mag, ist hier definitiv falsch. Die zufällige Generierung führt dazu, dass die Spawnpunkte zum Teil deutliche Unterschiede aufweisen und man so einen starken Startbonus bekommt. Irgendwie macht aber auch genau das die Faszination aus. Das Schlachtfeld jedes Mal neu erkunden zu müssen und sich auf gute und schlechte Ausgangslagen einzustellen, sorgt für unglaublich spannende Duelle und bringt viel Abwechslung ins Spiel. Durch die kurze Dauer der Runden ist eine Niederlage schnell vergessen und man kann sich rasch ins nächste Match werfen.
Die Motive der vier Fraktionen von Tooth and Tail werden im Laufe der Handlung vorgestellt und ihre Beweggründe können durch Gespräche mit NPC-Charakteren in Erfahrung gebracht werden. Im Story-Modus sind die Einheiten- und Gebäude, die man benutzen darf, für jede Mission individuell festgelegt und stammen ausschließlich aus den fraktionsspezifischen Tierarten. In hübschen Hub-Welten spricht man mit unzähligen Charakteren, erfährt so mehr über die Geschichte und sucht seinen nächsten Auftrag. Anders als im Mehrspieler können hier ab und an noch gewisse Regeln gelten, die das Spielgeschehen verändern. Beispielsweise werden Einheiten auf manchen Karten geheilt, wenn sie sich im Wasser befinden (siehe Screenshot 2) oder bekommen Schaden, wenn man sie aus dem Einzugsgebiet der eigenen Basen bewegt.
Im kompetitiven Mehrspieler-Modus hingegen kann die Komposition der eigenen Armee vor dem Beginn einer Partie gewählt und so an die eigenen Vorlieben und Spielweisen angepasst werden. Eine ausgewogene Armee mit einigen schwachen, mittleren und starken Einheiten funktioniert ebenso wie ein klarer Fokus auf die Defensive oder starke Kombinationen mit heilenden Tauben. Da stets nur sechs Einheiten und Gebäude mit in die Schlacht genommen werden dürfen, ist jede Auswahl überlegt zu tätigen.
Technisch gibt es bei Tooth and Tail kaum etwas zu bemängeln. Bild und Ton zeichnen ein stimmiges Gesamtwerk, die musikalische Untermalung schmiegt sich nahtlos an den künstlerischen und farbenfrohen Pixel-Stil an. Einziger Nachteil ist, dass durch die detaillierten Umgebungen gerne mal Anhöhen auf den ersten Blick schlecht ersichtlich sind und Durchgänge nicht sofort erkannt werden können.
Neben dem umfangreichen Einzelspieler-Part und dem durch die zufälligen Karten nahezu grenzenlos unterhaltsamen Mehrspieler wurde auch an einen waschechten Splitscreen-Modus gedacht. Leider keine Selbstverständlichkeit in der heutigen Zeit. Da sich Tooth and Tail auch super mit dem Gamepad steuern lässt – ich persönlich habe nahezu das komplette Spiel damit bewältigt – steht dem Versus-Abend mit einem Kumpel auf der Couch nichts im Wege. Online-Partien mit zwei Spielern an einem Gerät sind ebenfalls möglich.
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels ist die versprochene Crossplay-Funktion zwischen GOG, Steam und dem PlayStation Network noch nicht integriert. Wenn du das Spiel also derzeit über GOG erwerben möchtest, solltest du dir bewusst sein, dass es im Moment noch recht wenige Kontrahenten auf den Servern gibt. Spätestens, wenn die Spieler von Steam dazu kommen sollte sich das aber geklärt haben. In einer stetig aktualisierten Roadmap, in der auch der Crossplay-Punkt ganz weit oben aufgeführt wird, verraten die Entwickler bereits neue Features und geben Ausblicke auf die Zukunft des Spiels.
Update: Mit dem Patch 1.0.3 vom 27. September 2017 ist Crossplay zwischen Steam- und GOG-Spielern nun möglich. Weitere Entwicklungen sind am schnellsten in den offiziellen Foren des Spiels bei GOG und Steam zu erfahren.
Mein Fazit zu Tooth and Tail:
Tooth and Tail vereinfacht die Steuerung und bleibt dabei trotzdem ein waschechtes Echtzeitstrategiespiel mit vielen Einheitentypen, schier unendlichen Karten und stimmiger Optik, die einem aber auch gerne mal in der Hitze des Gefechts einen wichtigen Durchgang übersehen lässt. Kurze intensive Mehrspieler-Partien und eine bockschwere Einzelspieler-Kampagne sorgen für langzeitlichen Unterhaltungswert und machen Tooth and Tail zu einem weiteren Indie-Hit des Teams, das mit Monaco bereits bewiesen hat, wie man komplexe und leicht zugängliche Spiele gestaltet.