Return of the Obra Dinn: Tote Leichen lügen nicht

Return of the Obra Dinn Banner

1802 segelt das Handelsschiff Obra Dinn im Namen der East India Company von London in Richtung Orient. An Bord befinden sich die Besatzung von 51 Mann sowie 200 Tonnen an Waren. Einige Jahre später, am 14. Oktober 1807, wird das Schiff völlig ramponiert gesichtet – die komplette Crew ist verschwunden. Wir werden als Mitarbeiter einer Versicherung beauftragt, die Umstände zu untersuchen und den Schaden zu beurteilen. Mit dieser Prämisse beginnt ein Indie-Titel, der bei den The Game Awards 2018 den Preis für die beste visuelle Gestaltung abräumen konnte.

Als Versicherungsvertreter auf einem Schiff herumlaufen und Dinge beurteilen – wie spannend kann das schon werden? Wie auch schon bei Papers, Please, einem Grenzkontrollen-Simulator von Lucas Pope, scheint die Ausgangssituation des Spiels wieder einmal nicht sonderlich interessant zu sein. Doch als wir auf dem Boot eines Ruderers, der uns zur Obra Dinn hinüber paddelt, ein Buch sowie eine magische Uhr erhalten, beginnt man langsam zu begreifen, dass es sich hier keinesfalls um einen trockenen Versicherungsjob handelt.

Hinweis: Rätsel sind ein Hauptbestandteil von Return of the Obra Dinn. Um schwerwiegende Spoiler zu vermeiden, beschränken wir uns bei der Erklärung des Gameplays auf die ersten Spielminuten.

An Bord angekommen fällt direkt der einzigartige Grafikstil auf. Die monochrome Spielwelt ist in einem minimalistischen Stil gehalten und besticht dennoch mit vielen Details – besonders bei den schon bald sichtbaren Personen. Auch die zerrissenen Segel und die Taue des Schiffs bewegen sich stimmig im Wind. Jeder unserer Schritte lässt das Holz unten unseren Füßen knarzen, während wir uns langsam in der Egoperspektive über das Oberdeck bewegen. Schließlich finden wir die sterblichen Überreste eines Menschen, die zugegebenermaßen durch eine Vielzahl an Fliegen nicht wirklich schwer auszumachen war. Als wir uns ihr nähern, zückt unser Protagonist die Uhr, die nach einem Klick zu drehen beginnt. Das Bild wird dunkel, eine Tonsequenz beginnt.

Wir hören das Klopfen an einer Tür, zwei Seemänner verlangen Eintritt zur Kajüte des Kapitäns. Sie klingen erbost. Allerdings scheint auch das Schiffsoberhaupt nicht gerade freundlich gesinnt zu sein, es rumpelt und ein Schuss fällt. Erst jetzt sieht man wieder etwas – nämlich ein Standbild des Moments, in dem die Person stirbt, die wir zuvor mittels Uhr angeklickt haben. Nun beginnt die detektivische Arbeit, die einen Großteil der Zeit in Return of the Obra Dinn ausmacht. Was können wir durch den gerade sichtbaren Moment alles in Erfahrung bringen?

Durch den der Szene vorangegangen rein akustischen Einspieler wissen wir, dass die schießende Person mit ziemlicher Sicherheit der Kapitän ist. Weiterhin ist ersichtlich, dass die gerade sterbende Person höchstwahrscheinlich durch die Kugel aus der Pistole des Kapitäns gestorben ist, die gerade den Brustkorb durchdrungen hat. Allerdings kann man noch nicht feststellen, wer die hier erschossene Person ist und mit wem sie vor der Kajüte des Kapitäns stand. Aber das müssen wir jetzt auch noch nicht wissen. Die gewonnenen Erkenntnisse werden sorgfältig in das Buch eingetragen und wir schalten eine neue Leiche frei, deren Todeszeitpunkt wir mit der Uhr einsehen können. Willkommen in Return of the Obra Dinn.

Return of the Obra Dinn Kapitän

Die ersten Szenen im Spiel reihen sich zum Großteil eng aneinander, was nicht zuletzt auch an der Zeit erkennbar ist, die uns die Uhr beim Anschauen der Leichenteile anzeigt. So wirft uns die nächste Szene beispielsweise direkt in die Sekunden nach dem Schuss und wir sehen, was mit der zweiten vor der Tür stehenden Person geschieht. Auch das Schicksal des Kapitäns ist wenige Augenblicke später ersichtlich. Nach und nach füllen wir so das uns überreichte Buch mit Personen, deren Todesart und den Mördern und lüften die vielen Mysterien, die auf der Obra Dinn passiert sind.

Selbstverständlich sind besonders im späteren Spielverlauf die Geschehnisse nicht mehr ganz so leicht erkennbar und wir müssen auf sehr viele unterschiedliche Details achten, um die Geheimnisse lüften zu können. Wir verraten an dieser Stelle natürlich nicht, welche Hinweise zum Ziel führen können. Fakt ist, dass man das Schicksal jeder Person durch Verknüpfung von noch so klein erscheinenden Anhaltspunkten lösen kann. Diese Detektivarbeit  macht einen Großteil des Unterhaltungsfaktors von Return of the Obra Dinn aus.

Die Handlung an sich ist, wenn man sie denn am Ende des Spiels gänzlich entschlüsselt hat, wenig faszinierend. Vielmehr ist der Weg das Ziel und durch die Erfolgserlebnisse des sich langsam füllenden Buches gänzlich ohne irgendeine Form von Hilfestellungen entsteht ein einzigartiges Gefühl von Erfolg. Wobei es schlussendlich doch eine kleine Unterstützung gibt, denn immer nach drei korrekt eingetragenen Personen kennzeichnet das Spiel diese als gelöst. So lässt sich in regelmäßigen Abständen überprüfen, ob man auf dem richtigen Weg ist, was besonders in den Schlussminuten sehr hilfreich sein kann.

Return of the Obra Dinn Unbekannte Seele

Mein Fazit zu Return of the Obra Dinn:

Die Navigation durch das Buch ist etwas fummelig, das Abrufen von bereits angesehenen Szenen könnte komfortabler sein und auch ein Button zum schneller Laufen wäre eine feine Sache. Allerdings kann man über diese Kritikpunkte getrost hinwegsehen, denn wenn Return of the Obra Dinn einen erst einmal gefesselt hat, kommt man nur schwer wieder davon los. Es ist einfach unglaublich befriedigend, ein Schicksal nach dem anderen zu lüften und jede Person an Bord kennenzulernen, sodass sich am Ende ein schlüssiges Bild ergibt. Das alles wird abgerundet durch eine einzigartige visuelle Gestaltung, fantastische Sprecher und tolle Soundeffekte. Return of the Obra Dinn ist besonders für Freunde von einzigartigen Rätseln einen Blick wert.

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