Pokémon Schild: Unerfüllte Erwartungen und manischer Sammelwahn

Da ich seit Anfang des Jahres eine Nintendo Switch besitze, rücken die vielen Exklusivtitel des Publishers nach Ewigkeiten wieder in meinen Fokus. Darunter auch das Pokémon-Franchise, welches ich seit über zehn Jahren und mehr oder weniger vier Generationen neuer Taschenmonster nicht mehr in Videospielen zu Gesicht bekommen hatte. Durch die im November anstehenden Neuauflagen der Spiele Diamant und Perl – den Spielen der letzten Generation, die ich noch aktiv miterlebt hatte – wurde mein Interesse an der Spielereihe wieder geweckt. Und durch einer Kombination aus Ungeduld und unerwarteten zeitlichen Kapazitäten stiefelte ich jetzt schon in den Laden, um mich an den aktuellen Spielen der Reihe zu versuchen. Ob mich Pokémon Schild aus dem Jahr 2019 überzeugen und mein Interesse an der Reihe wiederbeleben konnte, erfahrt ihr in dieser Review.

Auch nach zehn Jahren Pause war ich sehr schnell wieder im Spielgeschehen von Pokemon angekommen, da das Spielprinzip sich kaum geändert hat. Die Taschenmonster müssen gefangen und trainiert werden, um sich dann in Kämpfen mit Trainern oder stärkeren Pokémon messen zu können. Bei der Reise durch eine neue Region gilt es dabei acht Arenaleiter zu besiegen und ein “böses Team” zu bekämpfen. Auf dem Weg trifft man natürlich Wegbegleiter und legendäre Pokémon, die in der Handlung wichtige Rollen einnehmen. So weit so gut. Alles beim Alten eben.

Doch obwohl ein Großteil der Spielbestandteile den Vorgängern sehr ähnelt, sind mir dennoch einige Sachen besonders negativ in Erinnerung geblieben. Zwar lassen sich Features wie die Geschwindigkeit des Ingame-Textes, das Zeigen von Cutscenes etc. individuell einstellen, trotzdem fand ich den Fortlauf des Spiels im Hinblick darauf schrecklich langsam. Wenn z.B. zum hundertsten Mal eine Dynamax-Cutscene läuft, ist das nicht spannend sondern einfach nur sinnloser Zeitverlust. Und da die Story immer noch nicht vertont ist, wird das ernüchternde Gefühl beim stumpfen Wegdrücken von endlosen Textzeilen nicht im geringsten gelindert.

Die Cutscenes sind besser in Szene gesetzt, aber weiterhin unvertont.

Schlimmer als früher empfand ich auch die absolut langweilige Story. Natürlich ist diese im Hinblick auf das junge Publikum simpel gestaltet, aber im Vergleich zu anderen Teilen nimmt man nun nicht einmal an allen wichtigen Momenten teil. Beispielhaft dafür ist eine Szene zeitlich im späteren Verlauf der Handlung. Bei einem großen Ereignis mit wildgewordenen Pokémon wird der Protagonist gerufen. Statt aber selbst die Welt zu retten bekommt der Spieler nur eine Antwort vom Champion der Region, dass wieder alles unter Kontrolle sei. Der ganze Aufbau der Szene und die Tatsache, dass man als Spieler selbst nicht einmal dem Ereignis beiwohnen kann sondern nur in einer Textzeile lesen darf, dass alles wieder in Ordnung ist, lies mich verdutzt zurück. Argumentationen, die besagen, dass am Ende die Zeit oder die Lust der Entwickler am Animieren einer entsprechenden Cutscene gefehlt haben, finde ich daher nicht abwegig. Und auch an anderer Stelle wird uns als Spieler nicht zugetraut, ein zwei Häuser weiter gelegenes Hotel von allein zu finden. Stattdessen werden wir in drei Spielunterbrechungen von einem NPC mehr oder weniger Punktgenau dorthin gelenkt. Wenn man es zwingend hätte forcieren wollen – warum dann nicht als Cutscene?

Unter dem Aspekt, dass das Spiel leichter ist als die alten Teile und somit dem Spieler eine gewisse Dummheit zugesprochen wird, lassen sich auch weitere Argumente sammeln. Rivale Hop, der – unter anderem durch seine hyperaktive Art – nerviger ist als die mir bisher bekannten Rivalen, bekommt anders als sonst das einem vom Typ her unterlege Starter-Pokémon. Meines Wissens nach ist dies erstmals der Fall. Ehemals bekamen die Rivalen immer den überlegenen Starter, um den Spieler vor eine größere Herausforderung zu stellen. Gedanklich erhebt Schwert & Schild keinen Anspruch. Selbst das “böse Team” ist nicht mal mehr böse, sondern einfach nur lächerlich. Während vorherige Bösewichte stumpf die Weltherrschaft erringen wollten oder wie bei Team Plasma sogar ethische Ansätze bezüglich des Haltens von Pokémon hatten, lässt sich das neue Team Yell einfach nur als aufgedrehter Teeny-Müll bezeichnen. Leider muss ich aber auch eingestehen, die nervigen Fanboys und -girls passen sogar irgendwie in unsere Zeit der TikTok- und Twitch-Idole.

Auch bei der Spielwelt gibt es Abstriche. Die an Großbritannien angelehnte Galar-Region ist zwar von den Ideen her nett gestaltet, nutzt das Potenzial aber kaum aus. Die neuen dreidimensionalen Routen sehen zwar hübsch aus, bieten gefühlt aber weniger Abwechslung und keine versteckten Orte – anders als frühere 2D-Teile. Die Routen wirken in Sachen Leveldesign allesamt eher wie Schläuche ohne Abzweigungen und Arealen abseits des Pfades. Dadurch kommt man eigentlich recht schnell voran, wären da nicht die zuvor erwähnten langsamen Cutscenes und Textpassagen. Da handelt es sich um verschenktes Potenzial, denn namentlich Route 2 und Route 9 zeigen, wie abwechslungsreich Bereiche gestaltet werden können.

Das Spiel schwankt zwischen malerischer Landschaft und verwaschener Grafik.

Den spärlich gestalteten Routen steht die neue Naturzone gegenüber. Dabei handelt es sich um ein großes Areal voller Natur, in der sich unzählige Pokémon heimisch fühlen. In diesem Gebiet kann man sich vollkommen frei bewegen und – anders als auf den normalen Routen – auch die Kamera wie in anderen Third-Person-Spielen frei steuern. Insgesamt ist die Naturzone besser als gedacht. Der Ansatz mit viel frei erkundbarer Natur kommt bei mir gut an, denn die Vielzahl an antreffbaren Pokémon in verschiedenen Biomen ist überwältigend. Zugegeben, auch die Naturzone ist schnell erforscht und wenn man nicht gerade jedes Pokémon einfangen will, gibt es auch nicht sonderlich viel zu tun. Dennoch ist dieses Element perspektivisch ein Schritt in die richtige Richtung.

Gimmicks wie das PokéCamp, in dem man zusammen mit seinen Monstern kochen und spielen kann, sind lustig, wenn auch sehr kurzweilig. Negativ hervorgehoben werden müssen meiner Ansicht nach aber auch die zu häufigen Extremwetterlagen und vor allem die katastrophale Performance beim Online-Spiel in der Naturzone. Denn ja, man kann die Naturzone online erkunden und andere echte Spieler treffen – allerdings bricht die Performance dabei auf ruckelige 10 FPS ein. Allgemein möchte ich auch noch kleine Verbesserungen positiv hervorheben, zu denen ich die Abkehr von VMs oder aber auch den jederzeit gesicherten Zugriff auf die PC-Box ohne den Zwang eines Pokémon-Centers zähle. Es ist also definitiv nicht alles schlecht.

Der Hauptaspekt am Spiel bleibt für mich persönlich das fangen aller Pokémon. Zwar bot das Basisspiel zum Release nur ca. 400 Taschenmonster – was weniger als die Hälfte der Gesamtzahl ist – jedoch stört mich das gar nicht so sehr. Natürlich ist aber Enttäuschung verständlich, wenn man in einem neuen Spiel kein Zugriff auf sein Lieblingspokémon haben sollte. Durch Updates und DLC kamen später weitere dazu, allerdings sind immer noch nicht alle im Spiel vorhanden. Die Designs neuerer Pokémon sind sicherlich Geschmackssache. Mich haben sie weniger überzeugt und bis auf das Starterpokémon bestand mein Team am Ende aus alten bekannten der ersten Generationen. Wer über den Sammelanreiz hinaus nach Langzeitmotivation sucht, für den gibt es den Kampfturm, welcher in seiner Funktion an die Duelltürme früherer Spiele angelehnt ist. Und versierte Spieler können sich natürlich in kompetitiven Online-Matches und Turnieren mit anderen Spielern messen. Wirklich mehr Inhalt – speziell nach Abschluss der Haupthandlung – bekommt man nur durch den kostenpflichtigen Erweiterungspass. Durch den Online-Dienst Pokémon HOME kann man inzwischen aber auch geliebte Pokémon spielübergreifend transferieren und immer in die neueste Version mitnehmen.

Beim Camping kann man mit seinen Pokémon interagieren.

Mein Fazit zu Pokémon Schild:

Nachdem ich in dieser Review wirklich viele negative Aspekte im Hinblick auf Story, Gameplay und Weltdesign aufgelistet habe, muss ich mir selbst die Frage stellen, warum ich inzwischen über 80 Stunden in das Taschenmonster-Abenteuer investiert habe. Die Antwort ist ziemlich simpel und ist sogar der Slogan des Franchise: “Schnapp’ sie dir alle!” Ich kann es schwer beschreiben wieso, aber der Drang alle Pokémon zu sammeln und meinen Pokédex zu vervollständigen, füllt mich mit genug Motivation, um weiterzuspielen. Spiele ich weiter, wenn dieses Ziel erreicht ist? Ich weiß es nicht, vermutlich nicht. Aber dennoch reicht der Kernansatz des Spiels, welcher sich seit 25 Jahren nicht geändert hat aus, um mich bei Laune zu halten.

Insgesamt bietet Pokémon Schild einige neue Pokémon, eine eher schwache Handlung und eine Menge verschenktes Potenzial bei der Weltgestaltung. Neue Aspekte, wie die Naturzone sind interessant, laufen dafür aber aus technischer Sicht im Online-Modus nicht rund. Auch sind nicht alle Pokémon im Spiel enthalten. Wenn man aber mit den vorherigen Teilen etwas anfangen konnte – so wie ich – dann werden auch Pokémon Schwert und Schild ihren Reiz haben. Von einem Pflichtkauf sind die Spiele dagegen Meilenweit entfernt. Ich hätte nach all der Zeit und dem Hardware-Potenzial der Switch einfach mehr erwartet. Stattdessen entwickelt sich die Spielereihe bei einigen Punkten, wie u.a. Inhalt und Anspruch, gefühlt aber eher zurück.

In dieser Review wurde Version 1.3.2 von Pokémon Schild betrachtet.