Die ersten Minuten eines Videospiels sind extrem wichtig. In ihnen entscheidet sich, ob der Spieler lange am Ball bleiben oder die Lust schnell verlieren wird. Eine besonders entscheidende Rolle bei der Richtungsweisung spielt das Tutorial. Die Art, wie das Gameplay und die Mechanismen des Spiels hier vermittelt werden, ist eine Gratwanderung zwischen zu ermüdender Leichtigkeit und zu überfordernder Komplexität. Just Cause 2 meistert diesen Balanceakt auf faszinierend gute Weise.
Wenn die Führung eines Landes wechselt und der nachfolgende Herrscher mit dem Einfluss ausländischer Interessen Schluss machen will, findest das natürlich nicht jeder toll. So startet auch Just Cause 2 mit einer Sequenz, in der unsere Hauptfigur Rico Rodriguez den Inselstaat Panau mit einem Helikopter erreicht. Uncle Sam möchte, dass wir die Regierung stürzen und dafür erst einmal so viel Chaos wie möglich anrichten. Als das Vehikel von einer Rakete getroffen wurde, deren Baureihe ironischer Weise von den Amerikanern selbst an Panau verkauft wurde, beginnt eine Tutorialsequenz, die den Spieler bestens in die verrückte Welt von Just Cause einführt.
So ein Pech aber auch. Da fallen ausgerechnet die wichtigen Datenträger mit dutzenden sensiblen Informationen beim Aufprall der Rakete aus dem Hubschrauber. Da zögert Rico natürlich nicht lange und springt hinterher. Das trashige Design der Missionen, mit dem das Actionspiel schon direkt zu Beginn aufwartet, muss man sich anfreunden können. Eigentlich sind die Aufgaben auch nur Umrahmung und schmückendes Beiwerk für die ausufernden Zerstörungsorgien, die der Spieler in Panau vollzieht.
Nachdem sich unser Held kopfüber aus dem Helikopter gestürzt hat, übernehmen wir erstmalig die Kontrolle. Selbst im freien Fall ist Rico ziemlich beweglich und lässt sich ohne Probleme zielgenau steuern. Das mag nicht sonderlich realistisch sein, aber wer Realismus sucht, der ist bei Just Cause sowieso an der falschen Adresse. Besonders beeindruckend und immer noch wunderschön anzusehen ist das nächtliche Panorama der Insel, dass sich uns beim Sinkflug im Hintergrund offenbart. Viel Zeit zum Staunen bleibt allerdings nicht, schließlich kommt uns der Boden immer näher und wir müssen langsam den rettenden Fallschirm auslösen. Nicht einmal eine Minute ist vergangen und das Spiel hat uns bereits mit der Kontrolle der Spielfigur in luftigen Höhen spielerisch vertraut gemacht, ohne uns dabei an die Hand zu nehmen. Diese Art der Erklärung zieht sich durch die komplette erste Mission.
Das merken wir auch, als wir nach der Landung in eisigen Höhen an der Seite eines Berges vor einer hohen Mauer stehen. Unglücklicherweise sind die wichtigen Datenspeicher nämlich in einer feindlichen Militärbasis gelandet. Kein Problem, denn so lernen wir sogleich die Handhabung des vielfältig einsetzbaren Drahtseiles. Zuerst ziehen wir mit dessen Hilfe einen unachtsamen Soldaten von der Mauer nach unten, dannach befördern wir uns in bester Spiderman-Manier selber nach oben und stehen am Rand der gut bewachten Festung.
Während man sich durch die Militärbasis bewegt und langsam ein gutes Gefühl davon bekommt, wie Gegner ausgeschaltet werden können und wie weit man sich selber ziehen kann, kommt man recht schnell auch selber in den Genuss, eine Waffe abfeuern zu dürfen. Denn die niedergestreckten Widersacher lassen Pistolen und Gewehre inklusive Munition in reichlichen Mengen fallen, die man dann für seine eigenen Zwecke benutzen kann. Wieder schreibt einem das Spiel nicht vor, was man zu tun hat. Zwar wird per Markierung angezeigt, wo die erste Datei gelandet ist, den Weg dorthin können wir aber frei wählen und die Gegner nach unserem Belieben ausschalten.
Bald schon lernen wir ein weiteres Element von Just Cause kennen, dass sich durchs komplette Spiel hindurchstreckt. In dem Moment, in welchem man das erste Schießeisen bekommt, zielt man fast schon automatisch auch auf die zahlreichen rot markierten Objekte. Die Zerstörung dieser führt dazu, dass sich der Chaos-Faktor auf der Insel erhöht, wir neue Aufträge bekommen und zusätzliche Ausrüstung anfordern können und somit schlussendlich den bösen Diktator stürzen. Um dieses Ziel zu erreichen, werden wir demnächst sogar mit Rebellengruppen kooperieren. Aber davon weiß der Rico, der sich derzeit noch durch die winterliche Basis auf der Suche nach den Daten schlägt, noch nichts.
Ab dem Moment, wo der Greifhaken zum Überwinden großer Abgründe nicht mehr ausreicht, kommt ein weiteres wichtiges Gadget ins Spiel – der Fallschirm. Wer das Zusammenspiel zwischen Haken und Fallschirm beherrscht, kann atemberaubend akrobatische Manöver in der Luft vollziehen und ganze Berggipfel überwinden, ohne auch nur einmal den Boden zu berühren. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg des Trainings. Erfreulich, dass die erste Basis sich an einem Berg entlang erstreckt und dabei ordentlich Freiraum fürs erste Experimentieren mit den beiden Gerätschaften schafft. Dadurch, dass der Fallschaden in Just Cause 2 relativ gering ist, werden auch gröbere Fehler verziehen und meistens kann man sich Dank eines der beiden Hilfsmittel, wenn auch in letzter Sekunde, vor dem sicheren Tod retten.
Unsere Kollegin und der Helikopter haben den harten Treffen übrigens überstanden und kommen uns ab und an zur Hilfe, um uns über weite Distanzen innerhalb der Basis zu befördern. Klar, dass Rico sich dabei nicht einfach nur langweilig auf den Sitzplätzen niederlässt. Wofür hat man denn schließlich den Greifhaken? Mit diesem können wir jedes Fahrzeug im Spiel anpeilen und uns so daran festheften. Bei Hubschraubern funktioniert das ganz genauso wie bei Flug- oder Fahrzeugen.
Das große Finale der ersten Mission in Just Cause 2 endet mit – wer hätte es vermutet? – einer geballten Ladung an Explosionen. Mithilfe einer überdimensionalen Gatling-Gun ballern wir auf alles, was sich bewegt. Fahrzeuge zerkrachen, getroffene Soldaten fliegen durch die Wucht der Geschosse meterweit davon und die hübsch rot markierten und für Chaos sorgenden Objekte werden fein säuberlich zerlegt. Eine wundervolle Symphonie der Zerstörung, deren Erreichen uns alle wesentlichen Mechaniken von Just Cause in wenigen Minuten verdeutlicht hat, ohne uns dabei mit nervigen Unterbrechungen und zu behutsamen Einleiten gelangweilt zu haben.
Mein Fazit zu Just Cause 2:
Unrealistische Physik, keine sonderlich intelligenten Gegner und jede Menge repetitive Aufträge – Just Cause 2 ist bei weitem kein perfektes Spiel. Dass es das aber gar nicht sein muss, wissen die Entwickler seit der ersten Spielminute zu vermitteln. Denn schon das Tutorial zeigt, worauf es im Spiel ankommt: Chaos. Wer sich mit dem übertriebenen Gameplay anfreunden kann, der findet mit Just Cause 2 ein immer noch sehr ansehnliches Actionspiel, dass vor allem durch die riesige Spielwelt beeindrucken kann. Momente, in denen man mit einem superschnellen Kampfjet das weitläufige Gebirgsmassiv überquert und dahinter noch die letzten Sonnenstrahlen vor einem wunderschönen Tropenpanorama erhaschen kann, sind auch nach mittlerweile sieben Jahren noch ziemlich beeindruckend.