Ein jeder von uns kennt die Geschichte rund um Doktor Frankenstein und die von ihm erschaffene Kreatur. Der Roman von Mary Shelley wurde bereits in den verschiedensten Werken aufgegriffen, für Film und TV umgestaltet und in den verschiedensten Variationen erzählt. Der Kern der Handlung blieb dabei immer der gleiche: Die Kreatur von Frankenstein kommt in der Menschenwelt nicht zurecht und versucht händeringend, einen Platz in der Gesellschaft zu finden. In The Wanderer: Frankenstein’s Creature schlüpfen wir nun in eben diese Rolle und werden mitgenommen auf eine ungewisse Reise.
Der jüngste mir in Erinnerung gebliebene direkte Kontakt mit Frankenstein und seinem Wesen stammt aus der recht unterhaltsamen Serie Penny Dreadful, in welcher unter anderem auch die mythischen Geschichten um Dracula und Dorian Grey Erwähnung finden. Frankenstein reiht sich damit nicht in typische Kinderfabeln ein. Vielmehr wird die krude Handlung in einen erwachsenen Rahmen eingepflegt und mit Horrorelementen gespickt. Im Vordergrund stehen allerdings philosophische Fragen. Zu Beginn von The Wanderer erwachen wir als das erste geglückte Experiment bei der Erschaffung von Leben.
Hinweis: Ein Review-Code von The Wanderer: Frankenstein’s Creature wurde uns zur Verfügung gestellt. Aus Spoilergründen gehen wir zur Erläuterung des Gameplays lediglich auf die ersten Spielminuten ein.
Unsere Spielfigur öffnet langsam die Augen und erhebt sich, die Welt um sie herum ist voller Leere und noch nicht zu greifen. Erst nach und nach gewöhnen sich die noch ungelernten Augen an die Umgebung und wir können auf unseren ersten Schritten Formen und schließlich Objekte ausmachen. Kontrolliert wird das Wesen im weißen Gewand aus der Vogelperspektive, seine Bewegung folgt der unserer Maus. Wir irren von einem wenig einladenden Raum zum nächsten und erkunden so langsam eine noch völlig farblose Szenerie. Begleitet wird unsere von Furcht geplagte Auferstehung von Gedankenfetzen der Kreatur, über die wir soeben die Kontrolle übernommen haben.
Erst als wir das Gebäude fast verlassen haben, beginnt die Welt langsam, ihre Farbenpracht zu offenbaren. Nach einer Weile begegnen wir auch dem ersten kleineren Rätsel, welches auf den soeben entdeckten Farben fußt. Im Hintergrund begleitet uns auf unseren Wegen ein melancholisches und von merklicher Trauer geprägtes Musikstück, während wir unseren Weg fortsetzen und schließlich auf das erste Dorf treffen. Ein Hauch von Freude macht sich breit, als das Wesen bemerkt, nicht allein zu sein. Mit den Kindern im Dorfzentrum kann sogar gespielt werden.
Doch als wir den Erwachsenen gegenübertreten, reagieren diese ganz und gar nicht freundlich. Stattdessen verscheuchen sie uns mit Fackeln und Mistgabeln und drängen uns in die Enge. Hier konfrontiert uns The Wanderer mit der ersten Entscheidung – setzen wir uns zur Wehr oder ergreifen wir sofort die Flucht? Im Laufe der Handlung können an diversen Stellen Entscheidungen getroffen und damit der Charakter der Figur beeinflusst werden. Wenn es dem Spieler gelingt, sich in diese hineinzuversetzen, handelt man zuweilen mit ähnlicher Angst oder Wut, die in der Situation zwar nicht rational aber dennoch nachvollziehbar erscheint.
Die Leiden des vermeintlichen Monsters werden durch die Reaktionen der Menschen greifbar und man fühlt sich auch als Spieler unwohl in seiner Rolle. Diese Charakterisierung wird insbesondere durch die Vielzahl gut geschriebener Monologe und die seltenen Dialoge vorangetrieben und weniger durch direkte Spielszenen. Auf der Suche nach jemandem, der hinter die grässliche Hülle blicken und auch das schöne im Wesen erblicken kann, durchstreift man diverse Schauplätze, die besonders durch ihre grandiose Optik auffallen.
Insgesamt sticht The Wanderer vor allem durch seinen tollen Grafikstil hervor, der jede Szenerie toll präsentiert und mit tollen Farbkombinationen eindrückliche Panoramen auf den Bildschirm zaubert. Besonders beim hin und wieder vorkommenden Zoom weit hinaus auf die Umgebung werden tolle Screenshot-Momente präsentiert. Die sehenswerte Aquarell-Optik des Spiels ist auf jeden Fall ein Highlight. Hinzu kommt ein wundervolles Klangbild aus theatralischen Violinen- und Piano-Arrangements, welches die Gefühle des namenlosen Wesens fantastisch einfängt.
Man muss sich darauf einlassen können, eine Kreatur auf der Suche nach einem Zuhause zu spielen. Geboren aus dem Nichts und ohne eine Verbindung zu Welt und Mensch fühlt man die Verzweiflung, den Hass, die Ängste und die seltene Freude der Figur insbesondere dann, wenn man gerade nicht viel Gameplay „zu erledigen“ hat. Denn die Passagen, in denen es Rätsel oder kleine Aufgaben gibt, sind der Schwachpunkt des Spiels. Die simplen Aufgaben werden durch unterschiedliche Faktoren zu zähen Momenten gestreckt, die man schnellstmöglichst beenden möchte, um den weiteren Verlauf der tollen Geschichte erfahren zu können.
Mein Fazit zu The Wanderer: Frankenstein’s Creature:
Der Leidensweg der durch ein Experiment Frankensteins entstandenen Kreatur wird in The Wanderer sehr stimmig dargestellt – insbesondere auf Seiten der Grafik, der Musik und den gut geschriebenen aber leider unvertonten Texten. Allerdings fällt der Qualitätsunterschied zwischen diesen und dem eigentlichen Gameplay häufig auf. The Wanderer ist vielmehr ein interaktiver Film mit zwei bis drei Stunden Dauer als ein Videospiel. Einzig die Entscheidungen in den Dialogen und Schlüsselmomenten rechtfertigen die Veröffentlichung als Spiel – das Artdesign ist alles in allem deutlich stärker als das Gamedesign.
Wer sich vom Stil des Trailers angesprochen fühlt, monotones Gameplay und kleinere Bugs ertragen kann, der wird von The Wanderer auf eine emotionale Reise einer trotz vieler Adaptionen noch immer hochinteressanten Figur mitgenommen. Durch die simple Steuerung ist das Abenteuer sicherlich auch für die Art von Spieler interessant, die sich selber nicht als Zocker bezeichnen würden.