„I love you, mom.“ – Sätze wie diesen liest man bei One Hour One Life am laufenden Band. Obwohl man es hier mit einem knallharten Survival-Game zu tun hat, ist es dem wirklich kleinen Entwicklerteam konträr zum Genre-Standard gelungen, dass die Spieler sich vertrauen, sich helfen und zusammenarbeiten. Die Folge davon sind unerwartete emotionale Bindungen, die nicht selten bis zum wortwörtlich gemeinten Tod bestehen.
Ja, das Team hinter One Hour One Life ist tatsächlich sehr überschaubar. Jason Rohrer hat drei Jahre lang komplett eigenhändig an der Engine, den Grafiken, der Musik und auch den Soundeffekten gearbeitet. Auch nach der kürzlichen Veröffentlichung auf Steam sollen noch mindestens zwei Jahre wöchentlich Updates erscheinen – das Spiel ist also noch weit von seiner finalen Form entfernt. Im folgenden Video präsentiert er stolz seine Idee.
Jeder Mensch in One Hour One Life wird von einem Spieler kontrolliert. Jede Minute vergeht ein Lebensjahr und man wird, wie es der Titel des Spiels bereits suggeriert, maximal 60 Jahre alt. Dies bringt natürlich direkt zu Beginn eine Hürde mit sich. Als gerade geborenes Baby ist man alleine nicht überlebensfähig und dementsprechend für mehrere Minuten auf die Fürsorge seiner Mutter angewiesen. Wer nicht gefüttert wird, stirbt. Ich musste einige frühe Tode sterben, bis ich den Hauch einer Ahnung hatte, wie ich mich in meinen ersten Jahren zu verhalten habe.
Wie wild herumlaufen und über den noch auf wenige Zeichen beschränkten Chat nach Essen zu brüllen, hilft in den wenigsten Fällen. Vielmehr sollte man die immens wichtige Temperaturanzeige im Auge behalten und dafür sorgen, dass man in einem Gebiet steht, in welchem es weder zu warm noch zu kalt ist. Schlägt der Pegel in eine der beiden Richtungen aus, muss man deutlich mehr Nahrung zu sich nehmen. Besonders für vielbeschäftigte Mütter mit mehreren nervigen Babys kann das schnell überfordernd sein.
Sobald man alt genug ist, kann man als Kind erste Erkundungstouren durch das Lager wagen und schauen, wo man am meisten gebraucht wird. Da jeder Spawn zufällig ist und man nicht auswählen kann, wessen Baby man wird, ist folglich auch die Situation, in der sich die Menschen um einen herum befinden, jedes Mal eine andere. Umherziehende Nomadenstämme, die sich von Beeren und den erst kürzlich hinzugekommen Bananen in neuen Dschungelbiomen ernähren sind mir ebenso untergekommen wie kleinere Gruppen mit den Ansätzen von Ackerbau. Auch große Siedlungen mit Schmieden, Häusern und Straßen begegnet man ab und an.
Weiß man einmal nicht so recht, an welcher Stelle man am meisten gebraucht wird, sollte man sich keinesfalls davor scheuen, mit seinen Mitmenschen im Textchat zu reden. Besonders in größeren fortgeschrittenen Gruppen kann das Spiel zuweilen regelrecht erschlagend wirken und man hat keine Idee, wie man noch sinnvoll seinen Teil beitragen könnte. Und obwohl man das komplette Spiel per Maus steuert, ist One Hour One Life alles andere als einfach. Denn die jetzt schon beachtliche Anzahl an Crafting-Rezepten ist deutlich komplexer als in anderen Spielen dieser Art und erfordert mehr Übung.
Erfahrene Spieler geben ihr Wissen allerdings gern an die junge Generation weiter und jede noch so kleine Hilfe wird zumeist von der ganzen Gruppe honoriert. Ich habe beispielsweise mehrere Leben nur damit verbracht, Karotten zu ernten und Beerensträucher zu pflegen. Das mag zwar nicht sonderlich unterhaltsam klingen, doch der Dank und die netten Worte, die einem nach einer knappen Stunde entgegengebracht werden, sind in der Welt der Videospiele ziemlich einmalig und teils rührend schön.
Technisch setzt das Ein-Mann-Projekt natürlich keine Maßstäbe. Derzeit kann man zum Beispiel man nur ganz wenige Items stapeln, zumeist nehmen selbst kleinste Gegenstände ein ganzes Feld in Anspruch. Dies führt insbesondere in größeren Dörfern zu viel Unübersichtlichkeit und Lauferei. Die witzige Comic-Optik und die – ähnlich wie bei Hidden Folks – mundgemachten Sounds sind allerdings sehr gut gelungen und bieten einen schönen Kontrast zum recht ernsten Überlebenskampf und der ständigen Suche nach Essbarem. Gerade diese schwierigen Aufgaben schweißen die Gruppen schnell zusammen und es entstehen emotionale Situationen am laufenden Band.
Die zeitige Bindung an die Mutter, das Interagieren mit anderen Menschen und das hochgradig lebensbejahende und positive Gesamtgefühl ist eine beeindruckende Leistung. Wo sonst bekomme ich als Spieler nach einer knappen Stunde Spielzeit von meinen Mitspielern Sätze wie „Du hast uns allen sehr geholfen, dank dir haben wir überlebt.“, „Wir werden dich nie vergessen!“ oder „Ich liebe dich, Opa.“ zu lesen? Die oftmals viel zu kurze Stunde in One Hour One Life bringt derartige Momente häufig hervor und verdient schon alleine deshalb viel Anerkennung.
Mein Fazit zu One Hour One Life:
Zum Teil wurde mein Glaube an die Menschheit durch One Hour One Life wieder hergestellt. Derart viel Kooperation und wärmende Worte in so kurzer Zeit bekommt man kaum an anderer Stelle zu hören – vor allem nicht in der Gaming-Szene, wo doch jedes Kind die Mutter des anderen… naja, ihr wisst schon. Zuweilen mag das Spiel hektisch und übersichtlich wirken und man steht generell immer unter Druck. Ein ganzes Leben in nur 60 Minuten, da sollte man ja auch keine Zeit verlieren! Nicht nur, dass man hier in einer Stunde immer das Gefühl bekommt, etwas positives zur jeweiligen Spielwelt beigetragen zu haben – ich habe mich auch einige Male dabei ertappt, über das eigene Leben zu reflektieren und über die kostbare Zeit nachzudenken. Wenn man schon Zeit mit Spielen totschlagen will, dann ist das sich stetig weiterentwickelnde One Hour One Life dafür definitiv eine sehr gute Wahl.