Reichlich spät habe ich mitbekommen, dass ich bereits seit einiger Zeit einen Zugang zur derzeit noch laufenden Overwatch-Beta besitze. Das kommt wohl davon, wenn man die Nachrichten von Blizzard komplett abschaltet. Sei’s drum, besser spät als nie. Nach einigen Trainingsrunden gegen Bots und ersten Online-Matches gegen menschliche Widersacher kann ich dir einen guten Ersteindruck vom Shooter geben.
Meinen ersten richtigen Kontakt zu Spielen von Blizzard hatte ich mit World of Warcraft ein halbes Jahr vor der Veröffentlichung von Wrath of the Lich King. Die Strategiespielreihen Warcraft und StarCraft wurden von mir bis auf wenige kurze Runden komplett ignoriert. Umso erstaunlicher ist es, wie schnell die Welt von WoW den Spieler trotz der fehlenden Vorkenntnisse in seinen Bann zog. Seit 2008 haben es nicht viele Spiele geschafft, mich durchweg zu begeistern. Einige Ausnahmen sind Red Dead Redemption, BioShock Infinite und Witcher 3.
World of Warcraft hebt sich von diesen Spielen dennoch ab. Es war wirklich etwas besonderes. Nicht zuletzt, weil es da dieses Gefühl gab. Ich kann nicht genau beschreiben, was es ist oder wodurch es entsteht. Vielleicht liegt es an dem Artstyle oder dem Setting, möglicherweise sind es aber auch die Animationen und die Art, wie die Eingaben des Spielers in die Welt übertragen werden. Ich werde es wohl nie gänzlich erklären können. Besonders bei neueren Titeln von Blizzard vermisste ich dieses Gefühl. Weder Hearthstone noch Heroes of the Storm konnten mich für lange Zeit fesseln. Heißt das also, dass meine Ära mit Blizzard zu Ende ist? Nun, noch nicht ganz. Ein Fünkchen Hoffnung gibt es. Overwatch.
Als Overwatch auf der BlizzCon 2014 erstmalig gezeigt wurde, war ich recht skeptisch. Auch nach den ersten richtigen Spielszenen wuchst mein Interesse nur marginal. Alles erinnerte mich zu sehr an Team Fortress 2, was nicht zuletzt am ähnlichen Grafikstil liegt. Dass sich die beiden Spiele grundlegend verschieden anfühlen, fand ich erst viel später heraus. Denn auch die unzähligen Streams auf Twitch und Videos auf YouTube, in denen die Leute von Overwatch schwärmten, rissen mich nicht mit. Die Tatsache, dass Blizzard anstatt ihres neuen MMO-Projektes Titan jetzt einen kompetitiven Shooter entwickelte, wollte mir einfach nicht schmecken.
Um fundiert über ein Spiel urteilen zu können, sollte man es selber gespielt haben. Nach der ersten Anmeldung zur Open Beta im November letzten Jahres wartete ich sehnsüchtig auf die Einladung. Dass ich alle Mitteilungen von Blizzard deaktiviert haben könnte, kam mir nicht in den Sinn und so fand ich eher durch Zufall vor einigen Wochen heraus, dass das Spiel sich schon lange in meiner Battle.net-Bibliothek befand. Mit einer Größe von 5GB war Overwatch auch bei mir relativ schnell heruntergeladen und den ersten Gehversuchen stand nichts mehr im Wege. An dieser Stelle sei noch erwähnt, dass Overwatch nicht wie World of Warcraft oder Heroes of the Storm die Funktion besitzt, dass man bereits während des Herunterladens spielen kann. Diese wird möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt noch implementiert.
Beim ersten Start von Overwatch erwartet dich ein kurzes Tutorial, welches dir die nötigsten Besonderheiten des Spiels näher bringt und veranschaulicht. Kleine Übungen zur Bewegung und ein Schießstand dürfen natürlich ebenfalls nicht fehlen. Auch die Fähigkeiten des ersten Helden werden dir erklärt. Hier macht sich direkt ein wichtiger Aspekt bemerkbar. Eine Sprintfunktion für jeden gibt es nicht. Stattdessen ist der Sprint eine Fähigkeit von Soldier 76 und damit nur für diesen verfügbar. Demnach ist deine Bewegungsgeschwindigkeit immer an deinen Helden gebunden. Ausnahmen stellen hier etwaige Boost-Fähigkeiten anderer Helden dar, die dich beschleunigen können. Interessant ist auch, dass es im Spiel weder Mana noch Munition gibt. Lediglich die Abklingzeiten der Fähigkeiten und die Größe deines Magazins sowie die Länge der Nachladeanimation sind ausschlaggebend.
Nach dem Tutorial wird man gebeten, erst einmal einige Helden im Trainingsraum zu testen und gegen Bots anzutreten. Beim Ausprobieren der Figuren fällt direkt auf, dass jede Fähigkeit einzigartig ist und zum Design des jeweiligen passt. Die flinke Tracer beispielsweise muss mit wenig Lebenspunkten auskommen, kann sich aber blitzschnell über die Karte teleportieren und so Schüssen entgehen und mit etwas Geschick sogar hinter feindliche Linien vorstoßen, um die verwundbaren Heiler auszuschalten. Ganz anders ist der robuste Roadhog, der mit seinem Fleischerhaken Gegner zu sich heranziehen kann. Das Experimentieren mit den Helden macht viel Spaß, trotzdem habe ich mich recht schnell in den Online-Mehrspieler gestürzt, um gegen menschliche Spieler anzutreten.
Gespielt wird immer in Teams bestehend aus sechs Mitgliedern. Vor dem eigentlichen Start hat man – ähnlich wie in Team Fortress 2 – einige Sekunden Zeit um sich eine ausgewogene Gruppe zusammenzustellen. Hierbei weist das Spiel dich darauf hin, welche Rolle noch benötigt wird. Bei den Kombinationsmöglichkeiten glänzt Overwatch besonders. Da dir von Beginn an alle Helden zur Verfügung stehen und du jederzeit im laufenden Spiel deine Auswahl wechseln kannst, kann dein Team sich stets auf die Gegner und die aktuelle Situation anpassen. Es ist außerdem möglich, dass ein Held mehrmals im Team vorkommt. Somit ist die Zusammenstellung deines Teams nie festgeschrieben und du kannst zu jedem Zeitpunkt deine Strategie variieren.
Trotz der immensen Freiheit bei der Heldenauswahl kommt man bereits nach einem kurzen Blick auf dessen Fähigkeiten selbst als Neuling gut mit ihnen klar. Das liegt daran, dass die Fähigkeiten sich gut voneinander unterscheiden lassen und leicht verständlich sind. Man weiß bereits nach wenigen Runden, auf was man sich bei bestimmten Gegnern einstellen muss. Die übersichtlichen Menüs und klaren Hilfestellungen tragen zum motivierenden Einstieg bei. Auch die abwechlungsreichen Umgebungen, die dich rund um den Globus in verschiedene Städte führen, sind ansehnlich gestaltet und haben alle ihre Eigenheiten, was sich wiederum auf die Wahl deines Helden auswirkt.
Schon nach den ersten zaghaften Schritten im Mehrspieler-Modus war mir klar, dass Overwatch die Chance hat ein neues Standbein für Blizzard zu werden. Ähnlich wie damals bei World of Warcraft fühlte ich mich direkt wohl im Spiel. Die Helden sehen super aus und sind durchweg sowohl auf englisch als auch auf deutsch spitzenmäßig vertont. Jede Waffe, jede Bewegung und jede Nachladeanimation ist ein echter Hingucker und alles fühlt sich stimmig und greifbar an. Wo Heroes of the Storm mich nie fesseln konnte und ich eine gewisse Distanz während des Spielens entwickelte, zieht mich Overwatch direkt in seinen Bann.
Blizzard hat verstanden, wie man Neulinge und Profis gleichermaßen motivieren kann. Während des laufenden Spiels kannst du lediglich deine eigene Statistik sehen und erkennst nur, ob du unter den besten drei Spielern deines Teams in der jeweiligen Rubrik stehst. Wenn zum Beispiel eine Silbermedaille neben deinem ausgeteilten Schaden ist, bedeutet dies, dass du der zweitbeste deines Teams in Sachen Schaden bist. Dadurch werden Neulinge nicht durch erfahrene Spieler demotiviert, zugleich wird aber auch die eigene Leistung honoriert. Im Chat unterhält man sich die meiste Zeit nett miteinander und beglückwünscht das andere Team für gelungene Aktionen, da die typische „Du hast 0:10, noob!“-Beleidigung nicht möglich ist.
Des weiteren werden am Ende einer Partie die vier Spieler aufgelistet, die besonders aktiv waren. Hier kannst du für den Spieler abstimmen, der deiner Meinung nach am besten war. Außerdem wird die beste Aktion in einem kurzen Highlight-Clip gezeigt. Diese Highlights laufen derzeit aber noch deutlich zu oft auf Szenen von mehreren Tötungen hintereinander hinaus. Gelungene Manöver von Heilern oder Tanks sieht man selten.
Wie in fast jedem aktuellen Shooter üblich gibt es auch in Overwatch ein Lootsystem. Nach jedem Levelaufstieg schaltest du eine Lootbox frei, in welcher sich vier zufällig ausgewählte Gegenstände befinden. Vom Heldenskin bis zum Spray oder Spieler-Icon ist alles dabei. Das Spiel unterscheidet hier zwischen den gängigen Seltenheits-Farben. Zusätzlich können auch neue Sprachschnipsel und Posen für die Helden in den Kisten enthalten sein, mit denen du deinen Favoriten an bestimmte Vorlieben anpassen kannst. Das macht die ohnehin schon unterhaltsame und humorvolle Vertonung noch abwechlungsreicher. Das Balancing bleibt von diesen Anpassungsmöglichkeiten unverändert, da die Items rein kosmetische Auswirkungen haben.
Overwatch ist für mich bisher in erster Linie eines: Unterhaltsam. Das Spiel animiert mich zum stetigen Wechseln meines Helden, wohingegen in ich anderern Titeln oft nur zwischen einer kleinen Gruppe variiere. Das Spiel läuft bereits in der Beta butterweich, Bugs sind mir bisher noch keine aufgefallen. Ein Problem habe ich dann aber doch mit dem Spiel und das ist dann auch der Grund, warum ich höchstwahrscheinlich nach der Beta nicht weiterspielen werde.
Die Rede ist vom Bezahlsystem. Blizzard hat sich dafür entschieden, das Spiel für 40€ auf den Markt zu bringen, was neuerdings auch als „Buy to Play (B2P)“ bezeichnet wird. Ich persönlich ziehe es jederzeit vor, für ein Spiel einmalig zu bezahlen und dann alle Inhalte zu bekommen. Der große Haken ist nur, dass andere, die vielleicht in ein kostenloses Spiel reingeschnuppert hätten, erst gar nicht dazu kommen werden. Overwatch macht am meisten Sinn mit einem kompletten Team aus sechs Spielern. Wenn man also nicht fünf seiner Kumpels dazu animieren kann, sich das Spiel zu kaufen, dann lohnt sich der Kauf für einen selber auch nur bedingt. Ich verstehe die Entscheidung von Blizzard, sehe aber auch, dass diese zukünftig zu einigen Problemen führen kann.
Falls du dir noch nicht sicher bist, ob Overwatch ein Spiel für dich ist, kannst du derzeit noch auf eine Einladung zur Closed Beta hoffen. Am kommenden Wochenende werden wieder vermehrt Spieler zugelassen. Außerdem findet vom 5. bis zum 9. Mai, also kurz vor der Veröffentlichung des Spiels am 24. Mai, eine Open Beta statt, an der alle interessierten Spieler teilnehmen können.
Overwatch ist ein neuer Meilenstein in der Geschichte von Blizzard Entertainment und fügt sich ohne Probleme in die Reihen von Warcraft, StarCraft und Diablo ein. Das Spiel macht Spaß, motiviert und fordert dich heraus ohne jemals unfair zu werden. Die nächsten Jahre werden zeigen, wie gut die Spielerschaft Overwatch annimmt und ob sich der Shooter im eSports-Bereich etablieren kann, der zur Zeit von MOBAs und Counter-Strike dominiert wird. Das Potential ist auf den Fall da. Schauen wir mal, was Blizzard daraus macht.