First Team: Juventus – Zwischen Tradition und Geschäft

Juventus Turin: Italienischer Rekordmeister, Champions-League-Sieger und nun auch zentraler Inhalt einer Netflix-Serie. Mit „First Team: Juventus“ steigt der Streaming-Riese ins Genre der Sport-Dokus ein und holt mit Juventus direkt einen der größten und populärsten Fußballvereine Europas an Bord. Das Ziel: Einen Blick hinter die Kulissen des Fußball-Giganten zu werfen und Fans von Live-Sport an den Video-On-Demand-Dienst zu binden. Ob das gelingt, werden wir in diesem Beitrag erörtern. Vorweg sei aber noch erwähnt, dass bisher nur drei Folgen der Serie erschienen sind und weitere drei im Sommer folgen werden.

Wie viele Sport-Dokumentationen begleitet First Team den Verein über den Verlauf einer Saison. Somit startet die Serie in Juventus‘ Vorsaison, in der Testspiele abgehalten werden, und beginnt mit einer 90 Jahre alten Tradition – einem Testspiel des Vereins gegen die Spieler der eigenen Nachwuchsakademie. Das Spiel in der kleinen Stadt Villar Perosa auf dem Gut der ehemaligen Eigentümer lockt nicht nur die Lokalbevölkerung sondern steht auch symbolisch für die Werte, welche Juventus in der Doku vermitteln möchte: Tradition und Familie. Beides sind Eckpunkte der Serie, die sich durch alle Folgen ziehen. Denn der Fokus liegt weniger auf dem Alltagsgeschäft des Vereins sondern vielmehr auf dessen Stars und Institutionen. Auf Spiele und Trainings hingegen wird seltener eingegangen.

Zu den Stars, welche Einblicke in ihre Karrieren, Motivationen und Ziele geben, gehören unter anderem Gianluigi Buffon, Federico Bernardeschi, Giorgio Chiellini, Douglas Costa, Gonzalo Higuaín, Claudio Marchisio, Miralem Pjanic, Daniele Rugani sowie Trainer Massimiliano Allegri. Dabei geht es nicht nur um die sportliche Seite, sondern auch um das Hintergrundgeschehen, wie zum Beispiel der Vereinbarkeit von Profikarriere und Familie als auch Verpflichtungen gegenüber Sponsoren. Einblicke in die Arbeit abseits des Rampenlichts begrenzen sich auf einen Besuch bei den Näherinnen, die für die Trikots verantwortlich sind. Hierbei verschenkt First Team die Chance, wirklich tiefe Einblicke zu bieten.

Auch die Tradition wird gepflegt. Bei den wenigen Spielen, die innerhalb der Serie in Ausschnitten zu sehen sind, handelt es sich nahezu ausschließlich um Rivalitäten, Derbys oder Entscheidungsspiele. Dabei bindet Netflix die Rivalitäten und die Historie zwar in die Narrative ein, vergibt aber eine Menge Potenzial, da es seltenst gelingt, die Emotionen und das Temperament der italienischen Fans an die Zuschauer weiterzuleiten. Selbiges gilt auch für die Spielszenen, welche in der Serie gezeigt werden. Diese sind zu kurz geschnitten und bauen nur selten Spannung auf. Änderungen im Momentum der Partie werden nicht gut präsentiert und die Eingriffe des Trainerstabes kaum erläutert. Und auch auf einen Einblick in die Kabine zur Halbzeitpause wartet man vergebens.

Juventus Team

First Team zeigt also bei weitem nicht alles und dies scheint auch so gewollt. Insgesamt ist alles zu positiv, zu schön um wahr zu sein. Spiegel Online betitelte die Doku als „Hochglanzwerbefilm“ – ein Vorwurf, der durchaus verständlich ist. Die Serie präsentiert eine heile Welt ohne Sorgen und Spannungen. Klar hat ein erfolgreicher Verein wie Juventus keine Existenzprobleme oder größere Niederlagenserien, dennoch fehlen die Ecken und Kanten. Wie steht es zum Beispiel um schwächere Spieler, die um den Verbleib im Team kämpfen müssen? Oder emotionale Momente nach demütigenden Niederlagen, wie einem 0:4 gegen Barcelona? Auf solche Szenen wartet man vergeblich. Dabei wäre es für die Bindung des Zuschauers ungemein wichtig, ihn gleichermaßen an erfolgreichen wie zermürbenden Situationen teilhaben zu lassen.

Der NFL-Doku „All or Nothing“ beim Konkurrenten Amazon Prime Video gelingt dies zum Beispiel deutlich besser. Dort werden die Teams bei großen Siegen aber auch Schockmomenten, wie einer Niederlage im Championship Game oder bei der Entlassung des langjährigen Trainers begleitet. Hautnah und unverfälscht. Und an eben dieser Konkurenz muss sich Netflix messen, denn Amazon bietet mit genannter NFL-Serie, die im April bereits in die dritte Staffel geht, der vor kurzem erschienenen Formel-1-Doku „Grand Prix Driver“ und einer aktuell in Produktion befindlichen Fußball-Doku in Kooperation mit Manchester City ein deutlich besser aufgestelltes Portfolio. Ob Netflix der Anschluss gelingt, wird sich zeigen.

Fazit

Alles in allem gibt „First Team: Juventus“ einen interessanten Einblick in die höchste Ebene des europäischen Vereinsfußballs und wofür der Name „Juventus“ in Italien und in den Augen des Vereins steht. Auf der Spannungsebene ist die Präsentation aber zu glatt und neben den Höhen fehlt es an Tiefen. Man darf gespannt sein, ob dies besser zur Geltung kommt, wenn im Sommer die zweite Hälfte der Staffel erscheint. Dementsprechend empfehle ich mit dem Schauen zu warten, bis alle Folgen erschienen sind.