Nintendo war für mich, wie für viele in meinem Alter, der erste Kontakt mit Videospielen. Die Serie vom Game Boy Color über den GB Advance bis hin zum N64 und GameCube riss erst mit meinem Sprung zur Xbox und später dem PC ab. Zwischendurch konnte ich dem Hype um die Wii nicht widerstehen und habe dort einige Klassiker nachgeholt. Aber der Funken ist nie wirklich übergesprungen, sodass diese Liaison auch nur kurz war. In dem Dickicht von Bewegungssteuerung und einer Flut von sehr simplen Spielen hatten Nintendo aus meiner Sicht für lange ihre Magie verloren und die enttäuschenden Verkaufszahlen der Wii U untermauerten dies auch als Tendenz für die breite Masse.
Doch seit fast einem Jahr ist Nintendo zurück und zwar in einem Ausmaß, das sich nie jemand vorstellen konnte. Die Nintendo Switch eilt von einem Verkaufsrekord zum nächsten und ein großes Portfolio von kleinen und großen Entwicklern verschreibt sich der Konsole. Und auch ich war seit Jahren endlich wieder Feuer und Flamme für das Konzept hinter einer Konsole. Während sich die Konkurrenten von Microsoft und Sony über für ihre Plattformen eingekaufte Exklusivtitel einen Vorteil im Wettbewerb erhaschen wollen, ist die Mobilität gepaart mit der gebotenen Rechenleistung bei der Switch der Fokus des Marketings. Wie mit der Wii und Wii U vorher setzt Nintendo hier auf Innovation statt Iteration. Doch während sich die beiden letztgenannten oft auf die neuen Eigenschaften versteiften um sie um jeden Zweck in ihre Spiele einzubauen, fühlen sich die Bewegungssteuerung und das HD-Rumble der Switch viel natürlicher an.
Hält man einmal eine Switch in der Hand, wird einem bewusst, wie weit die Technik sich in den letzten Jahren entwickelt hat. Auf der Größe eines kleinen Tablets oder großen Smartphones findet sich genug Leistung, um große, freie Spielwelten bei Zelda und Mario in 30 bzw. 60 Bildern pro Sekunde darzustellen. Und das stellt erst den Beginn der Möglichkeiten dar. Denn für gewöhnlich lernen Entwickler mit der Lebenszeit einer Konsole immer mehr Tricks für bessere Qualität bei steigender Leistung. Der zentrale Handheldmodus steuert sich dabei ohne Probleme. Zwar sind die Knöpfe und Sticks etwas klein und die Rückseite der Joy-Cons wäre gewölbt sicherlich besser als flach, um die Finger besser zu umschließen, aber man gewöhnt sich schnell um.
Sehr überrascht war ich von der mitgelieferten Joy-Con-Halterung, die für das Spielen am Fernseher gedacht ist. Während ich aus der Ferne durch Promomaterial immer davon ausgegangen bin, dass so etwas nicht gut in der Hand liegen kann und einer der 50 bis 70 Euro teuren Pro Controller für das stationäre Spielen absolut nötig sei, liegt dieses kleine Stück Plastik doch recht gut in meinen normal großen Händen. Auch die Menüführung lässt keine Wünsche offen und ist für mich persönlich in seiner Einfachheit attraktiv. Zwar wäre eine dedizierte Netflix-, Youtube- und Twitch-App bei dem brillanten Bildschirm eine nette Dreingabe, aber aus meiner Sicht verstricken sich die Xbox One und Playstation 4 bei solchen Themen in zu vielen Details, die nichts mehr mit dem Spielen zu tun haben. Für solche Dienste besitze ich wie die meisten Menschen ein Smartphone und PC.
Besonders begeistert bei der Switch auch der nahtlose Wechsel von Handheld zum Fernseher. Auch der Wechsel vom Spiel zum Hauptmenü und zurück dauert nicht länger als einen buchstäblichen Augenblick. Dass Nintendo das erreicht und in der Entwicklung offensichtlich so viel Wert darauf gelegt hat, ist für das Erlebnis ungemein wichtig. Manchmal bleibt auf einer Bahnfahrt nur Zeit für einen Mond bei Super Mario, ein paar Meter in Zelda oder sonstige kurze Erfolgserlebnisse. Und so sind die kurzen Ladezeiten und die Möglichkeit, Spiele entsprechend zu pausieren, um zum Hauptmenü zurückzukehren, so essentiell im Gesamtkonzept der Switch.
Doch es ist nicht alles eitel Sonnenschein, wenn man sich genauer mit dem Thema beschäftigt. Wenn man über die Switch und Nintendo redet muss man auch erwähnen, dass sich bisher viele nützliche Angebote, die bei allen anderen Konkurrenten Standards sind, nicht auf der Switch wiederfinden. Das Fehlen von Cloud Saves, einem Voice Chat über die Konsole oder der Virtual Console sind Dinge, die von Fans und Kritikern gleichermaßen mit einem Augenzwinkern und der Entschuldigung vom tollpatschigen Nintendo zur Seite gewischt werden. Da die Traditionsfirma aus Japan sich aber auf einem Markt mit großer und starker Konkurrenz aus allen Richtungen behaupten will, sollten solche Details nicht so stiefmütterlich wie bisher behandelt werden. Die Switch ist eine starke Konsole, könnte aber mit dem richtigen Ehrgeiz und Expertise aus der Führungsebene noch erheblich besser sein.
Dennoch begeistert mich die Idee, Spiele uneingeschränkt dort mit hinzunehmen, wo ich will, sei es innerhalb meiner Wohnung oder auf eine Reise. Neben den bereits erschienen und angekündigten Spielen von Nintendo, die die Konsolen in der Vergangenheit oft alleinig getragen haben, sind das auch eine Vielzahl von Indietiteln, die ich bisher nicht auf dem PC gespielt habe und die durch die Mobilität eine neue Dimension im Spielspaß für mich gewinnen.
Niemand kann die Zukunft voraussagen und somit, ob die Switch sich am Markt behaupten kann. Doch die bisherigen Verkaufszahlen und allgemeine Entwickler-Unterstützung lassen das vermuten. Die anhand der aktuellen Zahlen projizierten Verkäufe könnten sogar noch den bisherigen Marktführer, die PlayStation 4, übertreffen. Doch solche Fantasien und reine Zahlenvergleiche sind für mich nicht entscheidend für den Erfolg der Konsole. Das Konzept dahinter steht und fällt mit den guten Spielen, die erscheinen.
So war das erste Jahr der Switch von großen Spiele-Erscheinungen in jedem einzelnen Monat gezeichnet. Die größten waren dabei neue Titel der beiden Hausmarken Zelda und Mario. Breath of the Wild und Odyssey brechen dabei mit gewissen bisherigen Merkmalen ihrer jeweiligen Reihen und richten ihr Konzept stärker auf offene Welten mit massiven Freiheiten aus. Als traditioneller Mario-Fan habe ich mich für Odyssey als erstes großes Spiel für die Switch entschieden und begab mich so auf meine Reise mit dem Spiel (pun intended).
Nach einem recht linearen Start wird man im dritten sogenannten Königreich in eine offene Welt entlassen und kann auf dem Weg zu einem Level-Boss eine Vielzahl mehr oder weniger gut versteckter Monde finden. Dieser Grundaufbau, der in jedem Königreich danach wieder auftaucht, ähnelt dabei einer Mischung aus Rätseln und Suchaufgaben um alle Monde zu finden, die die traditionellen Sterne der Reihe ersetzen.
Um diese dann zu erreichen, macht man sich zum einen die erweiterten Bewegungsmöglichkeiten von Mario zunutze. In Odyssey kann dieser sich durch eine geschickte Kombination von Sprüngen und Tricks so weit wie nie zuvor durch die Luft bewegen. Oder man manipuliert die Umgebung mit seiner Kappe. Wie schon in vielem Marketing-Material zu sehen ist, ist diese diesmal ein eigener Charakter, der von Gegnern und der Umgebung Besitz ergreifen kann. Damit ergeben sich durch die verschiedenen Eigenschaften der besessenen Objekte kreative Lösungsmöglichkeiten für die einzelnen Herausforderungen, die manchmal offensichtlich und manchmal abstrakt sind.
Die Mischung aus Altem und Neuem fügt sich zu einer stimmigen Gesamt-Mechanik zusammen, die einen durch die einzelnen Level trägt. Ziel ist es dabei in einem Königreich eine bestimmte Anzahl an Monden zu sammeln, um zum nächsten zu gelangen. Genau dieser Gameplay-Fluss lässt einen das Spiel in einem unvergleichlichen Rausch von Anfang bis Ende durchspielen. Sowohl die großen Monde, die einem per Zwischensequenz vorgestellt werden, als auch die vielen Monde, die man auf dem Weg dahin durch Erkunden findet, sind in kleinen Spiel-Sitzungen zu erreichen und unterstreichen nochmal die mobilen Fähigkeiten der Switch.
Doch den meisten Spaß an Odyssey hatte ich nicht wie erwartet mit dem Gehüpfe oder Gesuche, sondern überraschenderweise mit der Musik. Zwar sind die Themes von Mario absolute Klassiker der Videospielmusik und können selbst von Leuten mitgesummt werden, die kaum Berührung mit Videospielen haben. Und auch der neueste Titel macht dabei mit seinem Titelsong alles richtig, vor allem auch, weil er sich mit Gesang mehr traut als seine Vorgänger. Die wahre Brillanz findet sich für mich dabei aber in den Hintergrundtiteln der einzelnen Level wieder. Hier trumpft das Spiel durch stets passende aber nie aufdringliche Stücke auf, die den oben beschriebenen Rausch nur nochmal unterstreichen. Diese Momente haben bei mir so einen bleibenden Eindruck hinterlassen, dass die Musik das erste ist, an das ich bei Odyssey denke.
Vorsicht vor potentiellen Spoilern
Wenn ich dennoch etwas auszusetzen habe, dann wäre es definitiv das Endgame. Nach dem Abschluss der eigentlichen Geschichte kann man weiter Monde sammeln, um neue Königreiche freizuschalten. Super Mario Odyssey hat dabei so viele Monde beziehungsweise Sterne wie kein Titel aus der Reihe zuvor zu bieten – je nach Level circa 20 bis 70. Und so gut der Spielfluss beim Durchspielen in den ersten 20 Stunden Spielzeit ist, so sehr flacht dieser im Endgame ab. Denn die Anzahl der benötigten Monde ist gigantisch und das Spiel verkommt zu einem mühseligen Suchen, da man ja auch noch die neuen, sehr schweren Level sehen will. Zum einen bin ich nicht der größte Fan von Sammelaufgaben und kein „Completionist“ in Spielen, es ist also vor allem ein persönliches Problem das ich hier habe. Aber ebenso krass fand ich den Wechsel in der Geschwindigkeit des Vorankommens, hier verbergen sich zwei sehr unterschiedliche Marios in Einem.
Trotzdem habe ich viel Spaß mit Odyssey auf der Switch gehabt, das ich zu einem Großteil im Handheldmodus durchgespielt habe. Sowohl bei der Hardware, als auch der Software muss man hier Nintendos Mut zu Neuem hervorheben und loben. Ohne solche Experimente würde sich die Entwicklung der Industrie auf höhere Auflösungen und Effekte beschränken. Aber hier ist ein echter Sprung nach Vorne erfolgt, der bisher auch von den Fans, Kritikern und Entwicklern gleichermaßen belohnt wird. Ich fühle mich wieder ein Stück in meine Kindheit zurückversetzt, als man noch unbeschwert Videospiele in allen möglichen Situationen genießen konnte und das ist einfach nur magisch.
Post Scriptum:
Inzwischen habe ich die nötigen Monde gesammelt, um die letzten Level zu sehen. Ich sage bewusst nur „sehen“ und nicht „durchzuspielen“, denn diese Königreiche stellen einen krassen Sprung in der Schwierigkeit dar. Dabei will ich nicht auf dem Anspruch pochen, dass sie so einfach sein müssen, dass sie jeder schaffen kann. Mir ist schon bewusst, dass Nintendo hier für die großen Fans der Reihe nochmal einige Spielstunden an Inhalt mit gesalzenen Herausforderungen geschaffen hat. Dennoch wurde auch hier wieder der oben beschriebene Unterschied zwischen der Story und dem Endgame nochmal auf die Spitze getrieben.
Auch der Weg zu dieser bestimmten Mondanzahl ging entgegen vorheriger Design-Entscheidungen aus dem Spiel. Durch ein bestimmtes Ereignis im Spiel werden einige, nicht alle, Power-Monde auf den Karten der Königreiche aufgedeckt. Zusätzlich kann man in den Läden der jeweiligen Level nun unendlich viele Sterne mit Münzen kaufen. Da man beide Mechaniken bis zur Strapaziergrenze ausnutzt, um auf die benötigte Summe zu kommen, hat sich für mich das Spiel ab dem Zeitpunkt wie die Symbol-Sammelsucherei auf den Karten der Assassin’s Creeds der Vergangenheit angefühlt, obwohl ich dachte, dass wir solche Spielelemente schon lange hinter uns gelassen haben.
Was bleibt ist ein technisch einwandfreies Mario, dass sich für die 20 Stunden Geschichte und auch noch in Teilen darüber hinaus wie ein perfekt steuerbarer Rausch anfühlt, den man 100% unterwegs und auch in kleineren Abschnitten spielen kann. Trotz meinem guten Eindruck ist bei mir aber auch immer noch der Gedanke vorhanden, dass ich vielleicht höchstens die Hälfte von dem Spiel gesehen habe.