Hin und wieder wird man besonders von den Spielen beeindruckt, von denen man es nicht erwartet. So auch bei „Begrabe mich, mein Schatz“. Wo ich anfangs mit einer recht passiven Spielerfahrung rechnete, die mich kaum einbezieht und sich fast schon von selbst spielt, wurde ich mit erstaunlich viel interaktivem Inhalt konfrontiert. Entscheidungen können wirklich viel bewirken – im positiven wie auch im negativen Sinne.
Das Thema Flüchtlinge ist wohl unumstritten eines der am heißesten diskutierten der letzten Jahre. Ein Spiel, das sich mit der Geschichte einer Syrerin, die nach Europa gelangen möchte, auseinandersetzt polarisiert natürlich ebenso. Über verschiedene politische und historische Ereignisse lässt sich demnach auch im Bezug auf „Begrabe mich, mein Schatz“ streiten. Wir trennen diesen Artikel bewusst von der allgegenwärtigen Diskussion und beschränken uns ausschließlich auf die spielerischen Inhalte.
Hinweis: Ein Review-Code von „Begrabe mich, mein Schatz“ wurde uns zur Verfügung gestellt.
Wer das Videospielkombinat aufmerksam verfolgt, der weiß, dass wir mit A Normal Lost Phone und dem Nachfolger Another Lost Phone bereits zwei Spiele getestet haben, die sich in einem Smartphone-Layout präsentieren. Im Gegensatz zu diesen gibt es in „Begrabe mich, mein Schatz“ aber keine verschiedenen Apps oder bereits geschriebene Nachrichten dritter, die man durchsuchen muss. Vielmehr schreibt man hier seine eigene Geschichte mithilfe des Textchats eines Smartphones.
Zugegebenermaßen war meine Erwartungshaltung recht gering. Im Grunde machte ich mich auf ein Spiel gefasst, welches den Weg eines Flüchtlings von Syrien nach Deutschland erzählt und dabei ordentlich auf die Tränendrüse drückt, um Mitleid zu erregen. Doch weit gefehlt. „Begrabe mich, mein Schatz“ bietet dem Spieler weit mehr Einflussmöglichkeiten als einige große Titel, die sich mit vorgegaukelter Entscheidungsfreiheit brüsten. Obwohl man lediglich vorgefertigte Nachrichten auswählt, werden am laufenden Band Entschlüsse getroffen, die über den Erfolg der Reise entscheiden können.
Simple Dinge, wie das Einsteigen in ein Taxi oder das warten auf einen Bus, ziehen langwierige Konsequenzen nach sich, die sich in komplexen Handlungssträngen weit weg von anderen Optionen bewegen. Ich war ziemlich baff, als bei meinem zweiten Playthrough eine vermeintlich kleine Entscheidung direkt zu Beginn einen komplett anderen Verlauf der Geschichte nach sich zog. Erst nach etlichen Stunden sah ich eine Nachricht, die mir bekannt vorkam. Und mit Stunden meine ich wirklich Stunden, denn „Begrabe mich, mein Schatz“ kommt mit einem ziemlich interessanten optionalen Spielmodus daher.
Wenn gewünscht, kann die Konversation zwischen Spieler und Chatpartner nämlich auch in einer Art Echtzeitmodus ablaufen. Wenn Nour, die Frau unserer Spielfigur, auf einer Autofahrt nichts zu berichten hat, kann es somit auch vorkommen, dass wir für einige Stunden gar keine Nachrichten bekommen und das Spiel demnach nicht fortschreitet. Gleiches gilt auch, wenn sie sich schlafen legt, ihr Akku streikt oder durch einen Länderwechsel das Netz erst einmal fort ist. Fürs schnelle Durchspielen eignet sich die Warterei natürlich nicht, aber die Spannung wird immens erhöht, wenn wir eine Weile nichts von der Dame hören und uns schon auf gewisse Weise sorgen machen, ob sie uns überhaupt noch zurückschreiben wird. Umso größer ist dann die Erleichterung, wenn das Smartphone vibriert und man ein Lebenszeichen bekommt.
Wie auch schon in den anderen bereits erwähnten Smartphone-Spielen übernimmt man in „Begrabe mich, mein Schatz“ nicht einfach nur die Steuerung über eine Spielfigur. Durch die mehr oder weniger in Echtzeit verlaufende Geschichte ist man mit seinem Handy quasi live bei der Flucht dabei und steht Nour mit Rat und Tat zur Seite, der allerdings nicht selten auch mehr schlecht als recht sein kann. Denn einfach ist das Spiel keinesfalls.
Schon die kleinste Fehlentscheidung kann zur Folge haben, dass der Versuch, nach Zentraleuropa zu gelangen, scheitert und man lediglich auf der jederzeit verfügbaren Karte die bisher zurückgelegte Route inspizieren kann. Das ist vor allem beim mehrmaligen Spielen interessant, denn so wird am krassesten deutlich, wie viele unterschiedliche Möglichkeiten man in „Begrabe mich, mein Schatz“ hat, ans Ziel zu kommen. Mitunter bewegt sich Nour eine gefühlte Ewigkeit auf Pfaden, die man im vorherigen Spielstand gar nicht zu Gesicht bekommen hat.
Mein Fazit zu Begrabe mich, mein Schatz:
Rein spielerisch ist „Begrabe mich, mein Schatz“ nicht viel mehr als ein normaler Smartphone-Textchat. Du musst dich also darauf einstellen, den Großteil der Spielzeit mit Lesen zu verbringen. Wenn dir das zusagt, erwartet dich eine spannende und wendungsreiche Handlung mit unzähligen Entscheidungen, die den steinigen Weg eines syrischen Flüchtlings beschreibt. Derart aktuelle Themen werden in Spielen jedenfalls sehr selten aufgriffen und alleine dafür gebührt den Teams hinter „Begrabe mich, mein Schatz“ Respekt.
Wenn du den Prolog von „Begrabe mich, mein Schatz“ vor dem Kauf ausprobieren möchtest, kannst du das hier kostenlos tun. Das Spiel ist seit dem 26. Oktober 2017 im Play Store und iTunes Store für 3,49€ erhältlich.