Bereits wenige Tage nach der Veröffentlichung von Pokémon Go für iOS und Android waren die Spielerzahlen so enorm, dass der Börsenwert von Nintendo sich verdoppelte. Sogar bis in die Tagesschau schaffte es das Spiel. Wir wollen die Faszination ergründen und den Erfolg erklären.
Vor zwei Jahren witzelten Google in einem Aprilscherz-Video darüber, dass Pokémon-Trainer mithilfe von Google Maps jagt auf die virtuellen Monster machen können. Die sogenannte Pokémon Challenge ist nun Realität geworden und Niantic bringt uns mit Pokémon Go ein kostenloses Smartphone-Spiel, welches durch GPS-Tracking die Suche nach Pokémon in der reale Welt ermöglicht.
Wer in den letzten Wochen die Nachrichten verfolgt hat, der wird des öfteren vom Spiel und dem Höhenflug der Aktie von Nintendo gehört haben. Selbst in die Tagesschau hat es Pokémon Go geschafft. Wodurch ist dieser immense Andrang zu erklären und was macht Pokémon Go zu etwas besonderem?
Nach den im wahrsten Sinne des Wortes ersten Schritten in Pokémon Go stellt man fest, dass es nicht die simplen Spielmechaniken sein können, die Millionen von Menschen rund um den Globus so an ihre mobilen Begleiter bindet. Mehr Tiefe als in anderen erfolgreichen Smartphone-Titeln sucht man vergebens. Mit Wischbewegungen wirft man Pokébälle, die man zuvor an Sehenswürdigkeiten in der realen Welt eingesammelt hat. In Arenen treten erfahrene Spieler dann in Echtzeitkämpfen gegen andere Trainer an und verdienen sich so immer stärkere Pokémon. In Sachen Umfang und Komplexität waren schon die ersten Spiele für den GameBoy weitaus besser aufgestellt. Doch die Faszination von Pokémon Go liegt nicht direkt im Spiel. Vielmehr sind es die Dinge, die man während seiner Streifzüge abseits vom Bildschirm erlebt.
Kurzgesagt ist Pokémon Go vor allem eines: Ein erfüllter Kindheitstraum. Viele von uns sind mit den Spielen aufgewachsen oder haben die Serie im Fernsehen gesehen. Die Vorstellung, einmal selbst auf abenteuerliche Reise zu gehen und Pokémon zu fangen, faszinierte vor allem die jüngeren Zuschauer. Obwohl man diese Idee später als reine Phantasie ablegte und in Vergessenheit geraten ließ, wird nun ziemlich deutlich, dass der Wunsch viele noch begleitet. Das wunderbare ist, dass wir mit Pokémon Go dieser Erfahrung so nah wie noch nie zuvor sind.
Was früher nur als utopische Gedanken im Kopf eines jeden Kindes kursierte, ist nun hautnah erlebbar. Endlich kann man selber ein Trainer sein und die wildesten Kreaturen zähmen. Niantic haben hier den richtigen Zeitpunkt erwischt und hatten mit Ingress bereits eine solide Basis für ein Augumented Reality Spiel mit Pokémon-Szenario. Starke Hardware und ein fast flächendeckendes mobiles Netz machen das möglich, was sich noch vor zehn Jahren niemand hätte auch nur Träumen können.
Innenstädte und Parkanlagen, die praktisch menschenleer waren, füllen sich täglich mit Spielern, die alleine oder gemeinsam mit Freunden nach seltenen Pokémon ausschau halten. Dörfler haben es dabei bedeutend schwerer, da sich an ihren Wohnort kaum ein Monster verirrt. Trotzdem bringt Niantic vor allem jüngere Spieler weg von PC und Konsole und raus in die reale Welt. Zumindest ist es das der erste Eindruck.
Denn obwohl viele Kinder wieder draußen unterwegs sind, wandeln sie wie untote Zombies durch die Straßen und starren wie gehabt fast nur auf ihren Smartphone-Bildschirm. Dass die Sehenswürdigkeiten, die man im Spiel für Pokébälle und andere Items aufsuchen muss, auch in der echten Welt existieren, fällt wohl den wenigsten auf. Die ganze Aufmerksamkeit gilt dem Spiel, was leider an der Intention von diesem vorbeigeht. Niantic möchten die Verbindung von Menschen wieder weg vom Kurznachrichten-Kontakt hin zum direkten Gespräch Angesicht zu Angesicht bringen. Damit Pokémon Go dieses Ziel erfolgreich erreichen kann, fehlen dem Titel allerdings noch essentielle Funktionen.
Die derzeit stetig sinkenden Nutzerzahlen sind kein gutes Zeichen für die Zukunft von Pokémon Go. Niantic müssen schleunigst mehr soziale Features, wie zum Beispiel eine Freundesliste und direkte Duelle gegen andere Trainer, ins Spiel einbauen. Go hat bewiesen, dass es die Masse begeistert kann und das die reale Welt zumindest in Städten auch als Spielwelt geeignet ist. Nun gilt es, die vorhandenen Funktionen auszubauen, die Performance des Spiels zu verbessern und die unzähligen Nutzer mit kontinuierlichen Updates bei der Stange zu halten. Ob das gelingt, hängt nicht zuletzt vom Engagement des Entwicklerteams ab. Hoffnung macht die Aussage auf der Comic Con, man habe erst ein Zehntel der geplanten Inhalte ins Spiel implementiert.
„We look at Pokémon Go as an MMO. We expect it to run for years and we’re going to continue to invest in it. […] We got probably a tenth of the ideas that we had when we kicked this thing of two years ago into the initial release.“
Mein Ersteindruck zu Pokémon Go:
Wer derzeit ein Pokémon-Spiel im Sinne der alten Game Boy Klassiker erwartet, der wird enttäuscht. Pokémon Go richtet sich eher an Leute, die nicht so sehr ein Spiel sondern vielmehr eine kleine Freizeitbeschäftigung haben wollen. Kernelement ist die Entdeckung der echten Welt und das funktioniert derzeit bis auf die zu häufigen Abstürze ziemlich gut.
Der Grundstein ist gelegt, jetzt dürfen Niantic aber nicht allzu lange mit Updates und vor allem Stabilitätsverbesserungen warten, damit auch zukünftig Spieler motiviert werden können. Sollte das in den nächsten Monaten nicht geschehen, verschwindet Pokémon Go genauso schnell, wie es populär geworden ist. Denn ein gutes Spiel ist Pokémon Go derzeit noch nicht. Eines kann man ihm allerdings jetzt schon zugute halten: Es bringt Spieler nach draußen und fordert von ihnen Bewegung.